Unter der Woche Arzt, am Wochenende voll drauf! Interview mit einem angehenden Arzt
Es ist eine befremdliche Vorstellung. Der Arzt, der deiner Oma gerade das Leben rettet, saß vor ein paar Stunden noch berauscht in der Afterhour. 25-Stunden-Dienste, Personalmangel und der stetige Druck bringen Ärzt*innen dazu, weit über ihre Grenzen zu gehen. Aber wie geht man damit um, wenn man am Wochenende drauf ist und unter der Woche voll funktionstüchtig sein muss? Ich habe mit einem angehenden Arzt gesprochen, der seine Geschichte mit Drogen erzählt und das ein oder andere brisante Detail zum Krankenhausalltag lüftet.
Seit wann gehst du feiern und in welchem Ausmaß?
Begonnen zu feiern habe ich eigentlich schon mit 16 Jahren. Vor allem während den Sommerferien gab es Zeiten, in denen ich 2-3 Mal die Woche feiern war. Derzeit gehe ich ungefähr 1 Mal die Woche richtig feiern. Manchmal gehe ich auch unter der Woche auf ein paar Drinks, das würde ich jedoch nicht unbedingt als feiern zählen. Es gibt aber auch Zeiten, in denen ich gar nicht oder vielleicht nur 1 Mal im Monat feiern gehe. Das sind vor allem die Zeiten vor den großen Prüfungen.
Wie bist du zu deinem Drogenkonsum gekommen?
Während meines Auslandssemesters in Frankreich hatte ich einen älteren Freund. Zu meinem 16. Geburtstag hat er mir eine Überraschung angeboten, bei der ich die Augen zu und den Mund aufmachen sollte. Nachdem er 2 Jahre älter als ich war, vertraute ich ihm und hab das gemacht. Tatsächlich hat er mir ein LSD-Tab unter die Zunge gelegt. Eine halbe Stunde später musste ich mich in meinem Klassenzimmer übergeben. Ich war so heftig am trippen, dass ich meinen Professor als Drachen gesehen habe.
Welche Drogen konsumierst du?
Die gängigen Drogen habe ich schon so ziemlich alle ausprobiert. Darunter fallen zum Beispiel Speed, Ketamin, MDMA, Kokain oder LSD. Von den harten Sachen lasse ich aber die Finger. Heroin, Meth oder Crack habe ich noch nie genommen, habe es aber auch nicht vor. In meiner harten Feierphase habe ich häufig Ketamin und Amphetamin konsumiert, aber auch, weil ich weniger Geld als heute hatte. Während meiner Jugendzeit habe ich auch viel MDMA genommen, aber umso mehr man im Studium darüber lernt, desto mehr lässt man auch die Finger davon. Die Schädigung der Serotoninrezeptoren ist es mir in diesem Fall nicht wert.
Seit ungefähr 4 Jahren konsumiere ich beim Feiern neben Alkohol ausschließlich Koks und gelegentlich einen Joint danach, um runterzukommen.
Hast du schon mal während deiner Arbeit Drogen konsumiert oder darüber nachgedacht, dass du es gerne tun würdest?
Darüber nachgedacht auf alle Fälle. Wenn man aber realistisch darüber nachdenkt und weiß, wie die Sachen wirken, würde ich das nie machen. Der Alltag im Krankenhaus ist ohnehin schon so stressig, dass es sich manchmal so anfühlt, als hätte man bereits etwas Aufputschendes konsumiert. Ich hätte außerdem auch zu große Angst davor, dass man etwas bemerken könnte. Zudem würde es mir vermutlich auch nicht helfen, weil ich dadurch nur hibbelig werde.
Was für Auswirkungen hat dein Drogenkonsum auf dein Studium?
Am Anfang meines Studiums bin ich eigentlich kaum feiern gegangen. Mein Alltag waren 10-12 stündige Lernsessions, bei denen ich nicht mal an Drogen gedacht habe. Umso länger ich aber studiere und umso mehr Prüfungen ich schon hatte, desto besser kann ich dann auch den Stoff und das Ausmaß der Prüfungen einschätzen. Ich hätte aber niemals eine Prüfung für den Konsum an den Nagel gehängt. Ich kenne aber einige Studienkolleg*innen, bei denen das schon der Fall war. Also, dass sie lieber trinken oder feiern gegangen sind, als für eine wichtige Prüfung zu lernen.
Hast du deine Position schon einmal dafür genutzt, um an verschreibungspflichtige Medikamente zu kommen?
Bei meinem ersten Dienst im Krankenhaus hat mich eine Krankenschwester ins Mediakementenkammerl geschickt, um Infusionsschläuche für einen Patienten zu holen. Ich stand ich vor dem riesigen Medizinschrank und plötzlich habe ich Ketanest gesehen.
Ich habe davor schon ziemlich viel darüber gelesen und es hat mich schon immer gereizt, das einmal auszuprobieren. Dazu muss man sagen, dass Ketanest, anders als Ketamin für Menschen bestimmt ist und nicht als Suchtgift deklariert wird. Daraufhin habe ich mir 3 Ampullen mitgenommen, diese zuhause aufgekocht und im Anschluss natürlich auch konsumiert.
Anders sieht es mit Opiaten und Benzos aus, die haben mich nicht so gereizt. Dafür war ich aber auch nie der Typ dafür. Man liest und hört eben auch sehr viel darüber, wie schnell das Zeug abhängig macht. Bei Opiaten gibt es aber auch ein so genanntes Suchtmittelbuch, bei dem man immer die Etikettnummer eintragen muss. Das muss dann auch mit einer Unterschrift abgesegnet werden, von der Person, die etwas genommen hat.
Hast du schon mal mitbekommen, dass trotzdem etwas entwendet wurde?
Tatsächlich ja. Es gab mal einen Fall in dem Krankenhaus in dem ich gearbeitet habe, bei dem ein Assistenzarzt den Patient*innen nur die Hälfte der Medikamente verabreicht hat. Die Entnahme wurde von ihm richtig eingetragen, wobei er die andere Hälfte für sich verwendet hat. Er war jahrelang schwer von Opiaten abhängig, ohne, dass es jemandem aufgefallen ist. Damit hat er den Patient*innen ihr Medikament vorenthalten. Irgendwann wurde der Skandal aufgedeckt. Der Assistenzarzt war jedoch der Neffe von einem Oberarzt, weshalb er gerade mal von der Station versetzt wurde. Normalerweise wäre das ja ein sofortiger Kündigungsgrund.
Gab es Zeiten, in denen du deinen Drogenkonsum als problematisch einstufen würdest?
Ich konsumiere seit 1-2 Jahren jedes Wochenende Kokain, demnach würde ich die Frage mit „ja“ beantworten. Ich würde die Situation aber ganz anders sehen, wenn ich bereits ein fertig ausgebildeter Arzt mit Letztverantwortung wäre. Die Lage sehe ich auch ganz gerne umgekehrt. Ich würde auch nicht gerne von einem Arzt behandelt werden, der sich am Wochenende was reinhaut. Im jetzigen Moment empfinde ich es aber nicht, bezogen auf meine Situation, problematisch, da ich keine Letztverantwortung trage. Ich schade ja niemandem mit meinem Konsum und er hat auch keine Auswirkungen auf meinen Krankenhausalltag.
Hast du vor, mit Drogen aufzuhören oder deinen Konsum zurückzuschrauben, sobald dein Studium zu Ende ist?
Ich habe vor, mir nach dem Studium mal für ein halbes Jahr eine Auszeit zu nehmen. Auch, um meine Doktorarbeit fertig zu schreiben. Viele Ärzt*innen trinken nach der Arbeit schon mal eine halbe Flasche Wein. Demnach weiß ich nicht, was jetzt dagegen sprechen würde, wenn ich nach der Arbeit mal einen Joint rauche. Ich fände es zum Beispiel auch nicht schlimm, wenn Letzteres mein Arzt machen würde.
Wie gehst du damit um, wenn du montags in der Arbeit noch die Auswirkungen vom Wochenende in den Knochen spürst? Hast du vielleicht auch irgendwelche Bewältigungsstrategien, um nach dem Feiern nicht so erledigt zu sein?
Jede*r Mediziner*in kennt den Schmäh mit den Infusionslösungen. Wenn ich spüre, dass ich einen Kater bekommen werde, bereite ich mir so eine Lösung meist schon nach dem Feiern vor. Man nimmt sie intravenös, die bekannteste heißt „Elomel“. Das ist eine Zucker-Elektrolyt-Lösung mit Salz. Diese kann man mit allem kombinieren, was einem gut tut. Wenn ich zum Beispiel Bauchweh von zu viel Zucker in den Cocktails habe, gebe ich ein bisschen Buscopan dazu.
Ein Kater entsteht ja eigentlich nur wegen dem Elektrolytmangel im Körper. Da kann man mit so einer Lösung recht gut entgegenwirken. Diese Infusionen haben mir also schon den ein oder anderen Montag gerettet. Im Krankenhaus fragt auch keiner nach, wenn man sich solche Lösungen mitnimmt. Das ist dann in etwa so, als ob man sich ein paar Pflaster für zuhause einpackt.
Ich bin derzeit noch nicht in der Position, aber wenn ich dann die Letztverantwortung trage, werde ich hoffentlich so vernünftig sein, nicht in die Arbeit zu kommen, wenn ich dafür zu erledigt bin.
Hast du dich schon einmal krank schreiben lassen, weil du zu hart feiern warst?
Ja, ich habe mich schon öfter krank schreiben lassen. Wenn ich am Samstag feiern war, danach auf ner Afterhour gelandet bin und am Sonntag erst um 15, 16 Uhr schlafen gehe, ist es nicht realistisch, dass ich dann am Montag in der Früh aufnahmefähig bei der Morgenbesprechung sitze. Das wäre fahrlässig.
Ich stelle mir zwar immer den Wecker, um zu sehen, wie es mir in der Früh geht, aber wenn ich merke, dass ich nicht in der Lage bin, jemanden zu behandeln, dann rufe ich in der Arbeit an und melde mich krank. Anders ist es bei einem grippalen Infekt. Da nehm ich ein Seractil, setz mir eine Maske auf und ziehe durch.
Ist der Drogenkonsum in deiner Branche weit verbreitet?
Es geistert immer wieder das Gerücht herum, dass Ärzt*innen und vor allem Chirurg*innen Meth konsumieren, um länger operieren zu können. Das habe ich jetzt schon öfter so auf Joodel gelesen. Davon habe ich aber noch nie etwas mitbekommen. Generell würde ich sagen, dass Ärzt*innen tendenziell eher gegen chemische Drogen sind. Alkohol spielt da schon eher eine Rolle.
Hast du schon mal einen Fall mitbekommen, in dem der Alkoholkonsum während der Arbeit überhandgenommen hat?
Während meiner Praktikumstage im Krankenhaus wurden uns die Räumlichkeiten gezeigt, in denen die Ärzt*innen während ihrer Nachtdienste schlafen. Als der Arzt, welcher uns rumgeführt hat, eine der Türen jener Schlafräume geöffnet hat, war das Zimmer noch nicht ganz vorbereitet. Auf einem Nachtkästchen stand eine halbvolle Flasche Whiskey. Vor allem während der 25-Stunden-Dienste ist es nicht gerade unüblich, dass mal ein oder auch mehrere Biere getrunken werden.
Zudem kenne ich einen der besten Allgemeinchirurgen eines sehr großen Krankenhauses, der tatsächlich nur mehr operieren kann, wenn er bereits ein paar Stamperl getrunken hat. Ansonsten zittert er so sehr, dass er das Skalpell nicht mehr ruhig halten kann — klassischer Fall von Spiegeltrinker.
Titelbild © Shutterstock
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