Der Lockdown wurde verlängert. Keine Besserung in Sicht. Die Zahl der Opfer sinkt nicht genügend und die medizinische Versorgung war noch nie so ausgelastet wie jetzt. Alle Hoffnungen ruhen auf dem Impfstoff. Doch viele wollen sich nicht impfen lassen und hegen Zweifel. Woher stammen diese Vorbehalte in einer so hoch technisierten Zeit? Und: Ist die Angst vor Gefahren einer Impfung begründet?
Gespaltene Gesellschaft
Obwohl in der österreichischen Bevölkerung die Impfbereitschaft leicht ansteigt, versammeln sich dennoch tausende GegnerInnen zum Protest. Anlass dieser selbsternannten, „friedliebenden Menschen“, „die für den Schutz unserer Verfassung handeln“, ist der vermeintliche indirekte Impfzwang, der von der österreichischen Bundesregierung umgesetzt werden soll/wurde.
„Eine Erpressung des Volkes“, meinen die KritikerInnen. Die Idee des sich „freitesten“ Lassens sorgte für die Befürchtung, dass dies auch bei Impfungen zur Anwendung kommen könne. Diese Impf-Gegnerschaft der s.g. Querdenkenden sieht darin einen „Probelauf für bevorstehende Pflichtimpfungen“, die sie so nicht hinnehmen wollen.
Der Konflikt um Impfung spitzt sich zu
Schon lange geht es den ImpfgegnerInnen „nicht mehr nur um unverhältnismäßige Corona-Maßnahmen“, wie es auf der Homepage der Querdenkenden heißt. Es geht ihnen um weit mehr. Um Themen wie „Menschenwürde“, „Freiheit“, „Selbstbestimmung“. Wofür sie schon seit Anfang Mai 2020 auch auf die Barrikaden gehen.
Es geht ihnen um wahrlich noble Begriffe, für die sich die Menschheit schon Jahrhunderte lang einsetzt. Werte, für die es sich immer schon zu Kämpfen gelohnt hat. Doch abseits dieser großen Themen, die vermeintlich verhandelt werden, geht es im Grunde doch eigentlich um etwas recht Banales: eine Impfung. Um eine weitere, einfache Impfung, von denen die meisten in ihrem Leben doch schon so einige verabreicht bekommen haben. Zum eigenen Wohl und ohne schwerwiegende Konsequenzen.
Impfen 4.0 – mRNA und die Panikmache
Doch aus dieser vermeintlichen Banalität ist eine virulente Debatte geworden. Doch warum? Millionen Covid-Impfungen wurden mittlerweile schon verabreicht. Nichts ist passiert! Die heiß diskutierte virale messenger RNA – mRNA ist ein gefahrloses Molekül, das nach wenigen Stunden abgebaut ist. Vor allem zeigen die extremen Infektions- und Sterbezahlen was geschieht, wenn wir uns nicht impfen lassen.
Klar ist diese mRNA Vorgehensweise neu, manche würden sogar sagen innovativ. Werden bei herkömmlichen Impfungen noch ganze Viren oder Virenreste verabreicht – welche erst einmal hergestellt werden müssen; was aufwändig ist und lange dauert – so wird beim mRNA-Impfstoff lediglich der Bauplan für ein Merkmal des Virus verabreicht, so dass unser Immunsystem den Virus gut erkennen kann. Der Körper stellt somit praktisch seinen eigenen Impfstoff her, mit dem sein Immunsystem auf den etwaigen Fall vorbereitet werden kann.
Wir wundern uns schon lange nicht mehr, dass Jahr für Jahr immer bessere und leistungsfähigere technische Geräte auf den Markt kommen. Aber wenn ein Impfstoff schneller daher kommt als erwartet, werden wir plötzlich skeptisch? Dabei ist das Ziel der Impfungen doch immer dasselbe: das Immunsystem soll auf einen späteren Kontakt mit einem Krankheitserreger vorbereitet werden, damit dieser keine Infektion bzw. Erkrankung mehr auslöst. Warum ist das alles plötzlich ein Problem?
Die Corona-Maßnahmen: von Beginn an ein Denkfehler?
In seiner Kolumne hat der Publizist und Philosoph Konrad Paul Liessmann schon im November letzten Jahres darauf hingewiesen, dass nicht nur die Corona-Leugner bzw. Gegner einem Denkfehler unterliegen. Sie verwechseln „unangenehme und ökonomisch prekäre Restriktionen“, die laut ExpertInnen nötig sind „mit der Einschränkung politischer Rechte“. Dieser Denkfehler hat, laut Liessmann die Krise von Anfang an begleitet. Sogar für die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel waren die Maßnahmen anfänglich eine „demokratische Zumutung“. Ein Satz, ein Denkfehler, der von da an gerne zitiert worden ist.
„Dass er falsch war und ist, störte niemanden.“, so Liesmann. „Das Virus ist vorab eine Zumutung für die Gesundheit der Menschen, dann für die Gesundheitssysteme einer Gesellschaft. Die temporären Maßnahmen, die getroffen werden, um die Pandemie einzudämmen, mögen angemessen oder überzogen, inkonsistent oder epidemiologisch fragwürdig, notwendig oder verfehlt sein, aber dadurch wurden weder die Rahmenbedingungen des Parlamentarismus oder des Rechtsstaates noch die Grundrechte ausgehebelt oder infrage gestellt.“
Doch einmal ausgesprochen, war „der Stein demokratischer Zumutung“ plötzlich ins Rollen gebracht worden. Und einmal angefangen zu rollen, konnte er nicht mehr aufgehalten werden. Schneeballartig ist er mutiert und scheint unaufhaltsam eine Spur des immer größer werdenden Missmuts zu hinterlassen. Er ist Nährboden für eine Vielzahl oft diffuser Ängste, einem Verlust an Vertrauen in die Obrigkeit und den Frust darüber, der oftmals megalomanische und irrationale Ausmaße annimmt.
Impfen tötet Kinder!
Allem voran die Galionsfigur und Wortführerin gegen die Corona-Maßnahmen, Jennifer Klauninger, führt gegen das Impfen eine Reihe von Behauptungen ins Feld, welche jedweder rationalen Debatte entbehren. Berühmt wurde Klauninger aufgrund des „bühnenreifen“ Zerreißens der Regenbogenflagge bei einer Kundgebung im Resselpark, welche sie als „Symbol der Kinderschänder“ deutete.
Berüchtigt geworden ist sie dann mit ihrer Behauptung, der terroristische Anschlag in der Wiener Innenstadt am 2. November 2020 wäre eine Inszenierung gewesen. Wofür sie natürlich ihre Gründe hat – die Ablenkung vor den Corona-Maßnahmen.
Schnell und laut mauserte sich Klauninger an die vorderste Front der Impfgegnerschaft. Obwohl ein Blick in ihre Biographie genügt, um sie als Verschwörungstheoretikerin ungeahnten Ausmaßes zu entlarven, ist sie dennoch eine Person, die sich öffentlich Gehör verschaffen konnte. Und wie!
Im Gespräch mit dem Schweizer Neonazi Ignaz Bearth lässt Berufsdemonstrantin Jennifer Klauninger alle Masken fallen: Mit der COVID19-Impfung wollen Rothschild & Soros das "überlegene weiße Volk" ausrotten. m( #283StGB #covidioten pic.twitter.com/DeCdUIrLuX
— Dietmar Muhlbock (@deltamikeplus) January 7, 2021
In einem ihrer neueren Videos stellt sie ohne medizinisches Expertenwissen (sie ist Zahnarzthelferin) fest, dass ein Virus überhaupt noch nie nachgewiesen werden konnte und die Impfungen zu Kindersterben und Behinderungen führen würden. Im neuesten Video wittert sie hinter den Covid-19 Impfmaßnahmen sogar die Ausrottung der weißen Rasse.
Heißt genau: die Reduktion der weißen Rasse aufgrund der Angst vor der spirituellen Überlegenheit des weißen Europäischen Volks aufgrund höherer Frequenz. Im Vergleich zu Asien und Afrika, wo die Frequenz eben nicht so hoch ausgeprägt ist. Was sie mit Frequenz genau meint? Ja, was!?
Die Opposition zu Impfungen und die Kritik an einem vermuteten „Impfzwang“ ist der Kitt, der harmlose, besorgte BürgerInnen, EsoterikerInnen, frustrierte AußenseiterInnen, die rechte Szene und die VerschwörungstheoretikerInnen zusammenhält. Ihr gemeinsamer Nenner: die Angst. Aber wovor genau? Im Grunde ist es doch nur eine Impfung, die banalste Sache der Welt. Oder?
Das Impfen – eine ewige Geschichte des Widerstands
Auch wenn es viele verwundern mag ist die Skepsis gegenüber Impfungen nichts Neues. Auch nicht in diesem Ausmaß. Bereits seit den ersten Pockenimpfversuchen des britischen Arztes Edward Jenner am Sohn seines Gärtners im Jahre 1796 gibt es diesen Kulturkampf zwischen den Impf-Befürwortern und den Impf-Gegnern. Ein Kampf, so alt wie die Impfung selbst.
Jenners Impf-Idee wurde, trotz erfolgreicher Wirkung, anfänglich nicht anerkannt und traf auf teilweise äußerst heftigen Widerstand. In einer Petition gegen einen Nationalen Impfzwang hieß es 1870 sogar „jeden Bürger vor dieser Vergewaltigung seitens der Mediziner zu schützen.“ „Gottlos!“, war die Impfung für die Vertreter der Kirche. Und Zeitungen veröffentlichten sogar Spottbilder, auf denen sich Jenners Impf-PatientInnen nach der Behandlung in Kühe verwandeln.
Historische Karikatur zu Impfgegnern, die befürchteten, durch die Pockenimpfung zu Kühen zu werden (James Gillray, 1802). © Wikimedia
Warum Kühe? Jenner konnte beobachten, dass Melkerinnen zwar oft an Kuhpocken erkrankten, aber nur selten an Menschenpocken. Er schloss daraus, dass Kuhpocken irgendwie vor den mörderischen Menschenpocken schützen können. Und tatsächlich entwickelte der Körper des Gärtnerjungen, nach der Infektion mit Kuhpocken, Abwehrkräfte gegen Menschenpocken und wurde nicht krank. Jenner taufte daraufhin sein Verfahren „Vaccination“, nach vacca, dem lateinischen Wort für Kuh.
Trotz stürmischen Gegenwinds konnten Jenners KritikerInnen den Siegeszug seiner neuen Impf-Methode nicht stoppen: Bereits 1807 führte Bayern eine Impfpflicht ein. 1815 folgte Preußen. 1867 England.
Warum wir in Bezug auf Impfung und die vermeintlichen Gefahren nicht weiter sind
Damals und heute: die Frage, warum wir heute bezüglich unserer Ängste und Vorbehalte nicht weiter sind, kann man sich durchaus stellen. Der Medizinhistoriker Prof. Malte Tießen aus Münster ortet die Impfskepsis als Kulturkampf. Es geht um verschiedene Weltbilder und einen staatlichen Druck, der für viele einfach zu hoch ist. Wer darf über den Körper bestimmen?
Aufgrund der Dringlichkeit der Pandemie und der schlechten Kommunikation hat es die Politik mit Sicherheit verabsäumt, das Thema „sanft“ anzusprechen. Klar, es gilt schnell zu handeln. Doch die Impfpflicht ist beladen; das war sie immer schon. Sie war und ist Symbol für den totalen Gesundheitsstaat, der die Ängste der Bevölkerung einfach übergeht und oft zu autoritär auftritt. Schnell fühlen sich die Menschen bevormundet und in ihrer Freiheit beschränkt. Doch (staatlicher) Druck erzeugt immer Gegendruck.
Hauptangst Nebenwirkung
Die Angst vor Nebenwirkungen konnte auch mit dem Fortschritt der Medizin nie ganz überwunden werden. Noch in den 1960er Jahren ging man in Deutschland davon aus, dass jede 30.000 Impfung tödlich ist. Das ist eine ziemlich hohe Zahl. Und die Sorgen um Nebenwirkungen werden größer. Obwohl die Impfungen zweifellos erfolgreicher und besser werden. Prof. Malte Thießen sieht eine komplexe Logik dahinter am Werk. „Die Impfungen sind Opfer ihrer eigenen Erfolge geworden.“ Je Erfolgreicher diese gegen Infektionen sind, umso stärker steigt die Angst vor Nebenwirkungen. Was ist schlimmer?
„Je Erfolgreicher Impfungen sind, desto weniger haben wir Angst vor Infektionskrankheiten und desto stärker gucken wir auf Nebenwirkungen. Die Risikoabwegung – Was ist schlimmer? Die Seuche oder die Nebenwirkung? – ist sozusagen deshalb ein größeres Problem und deshalb sind Nebenwirkungen heute vielleicht sogar ein noch größeres Problem, eine noch größere Frage als früher.“, so Medizinhistoriker Prof. Malte Tießen aus Münster.
Im Grunde waren und sind Impfungen nie eine rein persönliche und individuelle Angelegenheit gewesen. „Impfungen sind im Grunde ein Test für die solidarischen Bindekräfte und auch genau deshalb sind sie hoch emotional, weil es immer darum geht, wie steht der Einzelne zu Allgemeinheit oder zum Anderen.“, so der Historiker.
Ist in einer Welt des Einzelkämpfertums das Impfen aus solidarischen Gründen vielleicht gerade deshalb so ein großes Thema? Inwiefern nehme ich mich selbst zurück, damit ich andere Schütze? Wo schränke ich mich ein, um anderen ein besseres Leben zu ermöglichen? Gekoppelt mit dem allgemeinen Vertrauensverlust in Gesellschaft und Politik, ist in diesem komplexen Dualismus wohl auch in naher Zukunft keine leichte Lösung vorhersehbar.
Titelbild Credits: Shutterstock
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