Mehr als 1.500 Exponate hat die diesjährige Biennale in Venedig zu bieten. So viele Kunstwerke wie nie zuvor werden in den Pavillons der Giardini, in den Hallen der ehemaligen Schiffswerft (Arsenale) und an diversen weiteren Locations in der gesamten Stadt gezeigt. Wir vom WARDA-Kunst-Squad waren da natürlich vor Ort und haben die Highlights für euch herausgesucht.
Die Milch der Träume: magisch-surrealistisches Kunstspektakel
„The Milk of Dreams“ (Die Milch der Träume) lautet das Motto der diesjährigen Hauptausstellung der Biennale im Zentralen Pavillon (Giardini). Der Titel bezieht sich auf ein Kinderbuch der surrealistischen Künstlerin Leonara Carrington. Diese stand mit Salvador Dalí in regem Austausch und seine bizarre Methode sowie der Macht der Träume dürften ihr daher recht vertraut gewesen sein.
Und in der Tat, man kann der Hauptausstellung einen magisch-surrealistischen roten Faden nicht absprechen. Dieser zieht sich durch nahezu alle Ausstellungen und bildet die Kernessenz der diesjährigen Biennale di Venezia. Die älteste Biennale und die älteste internationale Ausstellung zeitgenössischer Kunst der Welt.
90 Prozent der Kunstschaffenden sind Frauen oder non-binär
Den Hauptschauplatz bilden wie üblich die Giardini, wo sich 28 Länder in ihren nationalen Pavillons präsentieren. Doch das ist nicht alles an Internationalität. Mehrere Dutzende anderer Staaten, die auf diesem Areal keinen eigenen Pavillon erbaut haben, stellen während der Biennale in über das gesamte Stadtgebiet verstreuten, angemieteten Räumlichkeiten aus.
Unabhängig von den Länderrepräsentationen gibt es im Arsenale noch eine, durch die Kuratorin Cecilia Alemani zusammengestellte Themenausstellung. Außergewöhnlich in diesem Jahr ist wohl die Tatsache, dass fast 90 Prozent der Teilnehmenden Frauen oder non-binär sind. Die „Kraft des Weiblichen“ prägt in diesem Jahr die wohl wichtige internationale Schau für Gegenwartskunst, wie die deutsche Journalistin Kristina Festring-Hashem Zadeh anmerkt.
Metamorphosen – Von Mischwesen und hybriden Körpern
Vor allem der surreale Aspekt fluider Körperlichkeit und Identität prägt diese Biennale. Veranschaulicht in der Verschmelzung des Menschen mit den unterschiedlichsten Bereichen aus Natur, Kunst und Technik. Fabel- und Mischwesen, zerteilte und hybride Körper, aber auch ein geradezu popiges Farbenspiel sind immer wiederzuentdecken und führen als gleitendes Narrativ durch die diesjährige Biennale.
Großformatige Skulpturen, fulminante Installationen und Videoarbeiten reflektieren zeitgemäße Themen rund um die Rahmenhandlung Surrealismus und Magie, möchte man meinen. Doch jetzt zu unseren Highlights:
Der dänische Pavillon: Fabel- und Mischwesen
Den Anfang der WARDA-Highlights macht der dänische Pavillon. Oder sollen wir lieber sagen „eine hyperrealistische Welt voller unerwarteter Dramen“. Dieses Drama spielt in einer zutiefst fluiden und hybriden Zeit. Fabelwesen, vergangenes dänisches Bauernleben und Elemente aus einer unbestimmten Sci-Fi-Zukunft vermischen sich zu einer transhumanen Welt. Visuelle und auch olfaktorisch eine extrem beachtliche Darbietung.
Der österreichische Pavillon: surreales Highlight in 1970er-Jahre Ästhetik
Definitiv ein Hingucker dieses Jahr ist der österreichische Pavillon. Das Künstler:innen-Duo Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl präsentiert eine Art ganzheitliche und bühnenartige Installation, welcher es gelingt, den gesamten künstlerischen Kosmos dieses Duos zu entfalten.
Gemälde, Skulpturen, Textilarbeiten, Fotografien, Texte, Videos. Sogar eine Modekollektion und eine Publikation in Form eines Magazins erwarten die Besuchenden. Letzteres kann man sogar erwerben. Das alles strahlt einen geradezu farbenprächtig an und man fühlt sich wie in einem surrealen Experimentalfilm aus den 1970ern. Dieser Pavillon ist aber nicht der Einzige, der eine solche Richtung einschlägt. Auch Ungarn, Brasilien und andere orientieren sich dieses Jahr in diese Richtung.
Der südkoreanische Pavillon: Mythos trifft Maschine und Technik
Wie selten ein Kunstland schafft es Südkorea immer wieder aufs Neue bzw. seine Künstler:innen, die Elemente Technik und Mechanik aufzugreifen. Diese Phänomene von ihrer ansonst dystopischen Aura zu befreien und etwas wahrlich Zauberhaftes daraus zu machen. Dieses Jahr wurde der Mythos mit dem Maschinellen gekoppelt und man darf erstaunliche Installationen und Skulpturen bewundern.
Der Sami-Pavillon – traditionelles Handwerk trifft auf Kunst, ergänzt durch politische Message
Politisch eine eindeutige Ansage ist die Präsenz des Sami-Pavillons. Die Samen (veraltet Lappen) sind ein indigenes Volk im Norden Skandinaviens, aber auch Russlands. Da offiziell kein anerkanntes Land bzw. Nation (was eigentlich Voraussetzung ist, um einen Pavillon bespielen zu dürfen), haben die skandinavischen Länder (Schweden, Norwegen, Finnland) auf ihre Anwesenheit verzichtet und dafür ihren, leider immer noch unterdrückten Minderheiten, die Möglichkeit gegeben, der Welt ihre Kunst zu präsentieren. Man kann sich denken, dass deren Kunst, neben den urvölkischen und archaischen, auch extrem politische Aspekte enthält.
Der italienische Pavillon – erfrischend selbstkritisch
Wie ominös und schwülstig auch immer die Selbstbeschreibung der italienischen Ausstellung sein mag. Es wird sofort ersichtlich, in welche Richtung die Kritik hier geht. Die Installation von Gian Maria Tosatti feuert mit ihrer Sweat Shop-Ästhetik eindeutig eine Kritik auf die Modeindustrie ab. Allen voran an die Italienische.
Wir erinnern uns an die unzähligen illegalen Textilfabriken, die in Italien immer wieder entdeckt werden. Teils riesige Lagerhäuser, in denen illegale Einwanderer:innen Textilien u.a. auch für Luxusmarken herstellen müssen. Oftmals unter sklavenhaften Bedingungen. Ein Pavillon, den der politisch umtriebige Kunstweltstar Ai Weiwei nicht besser hätte gestalten können.
Highlights auch im Arsenale
Die must sees dieses Jahr beschränken sich jedoch nicht nur auf die Giardini. Vor allem das Arsenal wartet mit einigen spannenden Künstler:innen auf. Allen voran die deutsche und noch sehr junge Künstlerin Raphaela Vogel.
Eine Horde Giraffen zieht einen von Krankheiten gezeichneten Keramikpenis. Einen surrealen Traum, den der Meister Salvador Dalí nicht besser hätte in Realität umsetzen können. Aber auch die US-amerikanische Künstlerin Jamian Juliano-Villani brilliert mit ihren surreal-catroonesken Gemälden. Natürlich sind das nur zwei von den vielen talentierten und erfrischend jungen Künstler:innen, die die diesjährige Biennale bereichern.
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Die Biennale 2022 für Kunst ist alles in allem eine fantastische Komposition. Dieses Jahr mit dem Bestreben, einer sich ständig wandelnden Welt voller Möglichkeiten und Metamorphosen künstlerisch habhaft zu werden. Bis zum 27. November 2022 kann man sich noch überzeugen, wie magisch-anmutend Kunst sein kann und in welche Träume uns diese zu entführen vermag. Ein Kunstspektakel in das man unbedingt Zeit aber auch einen Blick investieren sollte.
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