In seinen letzten Lebensjahren hat sich der französische Autor Georges Bataille unter anderem mit einer Fortsetzung seines erst posthum erschienenen Romans Meine Mutter (1966) befasst. So entstanden seine allerletzten erzählerischen Werke, die Fragment gebliebene Erzählung Charlotte d’Ingerville und Sainte. Jetzt erscheinen sie zum ersten Mal auf Deutsch.
Georges Bataille: Philosoph des Obszönen
Georges Bataille (1897-1962) war ein französischer Schriftsteller, Dichter, Essayist und Philosoph. Er ist bekannt für seine vielfältigen Werke, die sich mit Themen wie Erotik, Tod, Religion, Tabus, Soziologie und Kunst beschäftigen. Bataille war ein bedeutender Denker des 20. Jahrhunderts und hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung der französischen Philosophie und Literatur.
Einige seiner bekanntesten Werke sind Der erotische Surrealismus (1957), Das obszöne Werk (1957) und Die innere Erfahrung (1943). Bataille war auch Mitbegründer und Redakteur der Zeitschrift Documents, die sich mit einer breiten Palette von Themen befasste, darunter Kunst, Anthropologie, Ethnologie und Psychologie.
Bataille war zeitlebens ein kontroverser Denker, dessen Schriften oft provokativ und herausfordernd waren. Als obszön, pornös und grenzwertig verschrienen erkunden seine Werke die Grenzen der menschlichen Erfahrung. Die Beziehung zwischen Tabus und dem Unbewussten, sowie die Verbindungen zwischen Spiritualität, Erotik und Gewalt hat sein Werk ebenfalls zum Thema. Seine Texte: eine Welt der Abgründe. Sein Einfluss erstreckte sich über verschiedene Disziplinen, darunter Philosophie, Literatur, Kunsttheorie und Anthropologie.
Transgressionen: Grenzüberschreitungen
In seinen letzten Lebensjahren beschäftigte sich Georges Bataille, der Pornograf unter den Philosophen, unter anderem mit der Fortsetzung seines posthum veröffentlichten Romans Meine Mutter (Ma Mère, Pauvert, 1966). Infolgedessen entstanden seine allerletzten erzählerischen Werke, nämlich die unvollendet gebliebene Erzählung Charlotte d’Ingerville und Sainte, die nun erstmals auf Deutsch erscheinen.
Diese Werke gehören zu den rätselhaftesten und düstersten Schöpfungen Batailles und sind vermutlich auch die weniger bekannten seiner Arbeiten. Bataille knüpft an den Ausgangspunkt an, den sein erzählerisches Schaffen mit Geschichte des Auges (1928) genommen hatte, indem er erklärt: „Ich bin in großer Isolation aufgewachsen, und soweit ich mich zurückerinnern kann, hatte ich vor allem, was mit Sexualität zu tun hatte, Angst.“ Indessen erfahren wir, was in Meine Mutter ausgespart wurde: dass jede nur erdenkliche Grenzüberschreitung stattgefunden hat. Ein Thema, das sein Werk wie kein anderes geprägt hat.
Georges Bataille: Charlotte d’Ingerville und Sainte
In einer klaren und deutlichen Prosa verdichtet Bataille die Essenz seiner Gedanken in einer bisher unerreichten Zartheit zu einem tragischen Lachen. Für Bataille-Anhänger*innen und Literaturwissenschaftler*innen, mit dem Schwerpunkt Bataille, ist das im Mathes und Seitz Verlag erschienen Buch Charlotte d’Ingerville und Sainte eine Pflichtlektüre.
Für all jene, die Bataille nicht kennen, ist von dieser Lektüre jedoch abzuraten. Es gilt: sich vorher erst einzuarbeiten, denn Ergänzungen zu einem Werk kann man verständlicherweise nur lesen und genießen, wenn man auch den Ursprungstext gelesen hat, vor allem aber mit dem Denken dieses Ausnahmeautors vertraut ist.
Klar, das Lesen von Charlotte d’Ingerville und Sainte ohne das Werk Bataille zu kennen, wäre diesem zufolge vermutlich eine Grenzüberschreitung und zu begrüßen. Wer weiß, eine Transgression, die vielleicht gerade Bataille sehr amüsiert hätte. Doch vielleicht gibt es literarische Abkürzungen, die man einfach nicht gehen sollte. Noch nicht.
Titelbild © 2023 Matthes & Seitz Berlin
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