Adultismus ist ein Begriff aus der Psychologie, welcher Diskriminierung an Kinder in privaten und institutionellen Zusammenhängen näher beschreibt. Dabei geht es um Diskriminierung-Verhältnisse zwischen Erwachsenen und Kindern. Im Gegensatz zu anderen Formen, wie zum Beispiel dem Rassismus, ist Adultismus etwas, dem wir alle in unserem Leben einmal als Opfer und dann wieder als Täter begegnen. Doch wie läuft Adultismus eigentlich genau ab? Und wie kann man reflektieren, um aktiv aus der Täter-Opfer-Dynamik auszusteigen?
Eltern und Profis aus der Pädagogik kennen die Situationen nur zu gut. Es ist laut, hektisch und dann wollen die Kleinen noch was. Sie stören den Ablauf. Egal wie, aber auf die ein oder andere Weise wollen Kinder manchmal einfach nicht gehorchen. Je nach Kompetenz und Fähigkeiten versucht man als Elternteil oder pädagogisches Personal, auf die Situation einzugehen.
Machtverhältnisse in der Erziehung
Aber irgendwann passiert es dann doch. Unsere eigene angelernte, unreflektierte und mittlerweile akzeptierte Diskriminierungserfahrung geben wir weiter. Die typischen Bezeichnungen, Trigger und Sätze werfen wir dem Kind an den Kopf. So als wäre es schuld an der Situation. Wir entscheiden uns, mit abgedroschenen Sprüchen, die wir schon tausendmal gehört und vielleicht selbst als Kind hören mussten, eine Kränkung als Machtinstrument einzusetzen.
„Du benimmst dich wie ein kleines Kind.“
Ebenso gibt es zahlreiche Situationen im Alltag, bei denen Erwachsene ganz bewusst, absichtlich und „unprovoziert“ Adultismus einsetzen. Zum Beispiel, wenn wir in der Anwesenheit eines Kindes über seinen Kopf hinweg reden und ihm bewusst unsere Ansicht oder Meinung aufzwingen.
Oftmals kann das in Institutionen beobachtet werden, wenn Kinder gegen andere Ausgrenzungsformen oder für Gleichheit versuchen aufzustehen. Dabei wird ihnen von Erwachsenen, welche Diskriminierungen aller Formen als absolut normal verinnerlicht haben, einfach darübergefahren, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie werden bewusst diskriminiert, um ihnen eine Tradition der Erniedrigung beizubringen.
„Dafür bist du noch viel zu jung, das verstehst du noch nicht.“
Durch Adultismus sollen Kinder Diskriminierung verinnerlichen
Die ganze Persönlichkeit des Kindes wird dabei pauschal abgewertet und als inkompetent abgestempelt. Diese Kränkung wird nach und nach von den meisten akzeptiert und später dann wiederum an Jüngere weitergegeben oder eben im Erwachsenenalter an die eigenen Kinder.
Wie bei allen Diskriminierungsformen läuft Adultismus natürlich nicht nur rein über die sprachliche Ebene ab. Ebenso dient übergriffiges Verhalten in der Praxis der Einschüchterung als Prägung. Erwachsene, welche ungefragt Kindern über die Köpfe streichen, gibt es zuhauf. Kinder, die dabei zurückschrecken, werden wiederum überwiegend – so wie immer, wenn sie etwas ablehnen möchten – zurechtgewiesen. Ihren Wunsch ignoriert man bewusst.
„Jetzt stell dich doch nicht so an!“
Im sprachlichen Gebrauch von Erwachsenen untereinander ist Adultismus ebenso verankert. So gelten Begriffe wie „kindisch“ oder „kindlich“ als negative besetzte Worte. Auch klassische Aussprüche wie „Wir sind doch hier nicht im Kindergarten!“ als akzeptiere Abwertungssprüche, die gegen vermeintliche Schwäche eingesetzt werden.
Adultismus: Geschichte und wissenschaftliche Definition
Streng ausgelegt bedeutet Adultismus: „Vorurteile gegenüber einer Person oder einer Personengruppe aus Gründen des geringen Alters …“ Die Personengruppe, die am häufigsten von Adultismus betroffen ist, befindet sich durchschnittlich im Alter von 0 bis 13 Jahren. Die weitere Diskriminierung von Kindern zwischen 14 und 17 Jahren wird in der Fachsprache als Epiphanismus bezeichnet – also die Altersdiskriminierung von Jugendlichen.
In der Vorstellung von Adultisten sind Erwachsene normgebend. Aus dieser Sichtweise heraus betrachten Adultisten ihr diskriminierendes Verhalten als absolut legitim, da in ihrer Sichtweise die Behauptung aufgestellt wird, Kinder sein noch in jeder Hinsicht absolut „unreif“.
Wer jetzt den Begriff „Adultismus“ für ein neumodisches Wort aus der Bewegung der Political Correctness hält, der irrt gewaltig. Der Begriff Adultismus (engl. „adultism“) ist eine Herleitung des englischen Worts „adult“ für Erwachsene und der Endung -ism oder -ismus als Kennzeichnung eines gesellschaftlich verankerten Machtsystems.
Tatsächlich stammt der Begriff ursprünglich aus der Psychologie und findet bereits 1933 Verwendung in der Literatur. Da das Bewusstsein, diskriminierungsfreie Räume zu schaffen, immer größer wird in unserer Gesellschaft, rückt nun die Forschung und das Interesse rund um Begriffe wie Adultismus derzeit mehr in den Fokus.
Reflektieren lernen, um Adultismus in der Erziehung zu minimieren
Bei Auseinandersetzung mit dem Thema Adultismus sollte betont werden, dass es nicht darum geht, jegliche erzieherische Handlungen in Abrede zu stellen. Ohne Zweifel gibt es ebenso häufig Situationen, in denen das Zurechtweisen absolut sinnvoll ist und aus „erzieherischen Gründen“ stattfindet.
Es ist für Kinder sogar überlebensnotwendig, Dinge von anderen zunächst für gewöhnlich älteren Menschen zu erlernen. Denn Kindern liegen meistens noch nicht genug Informationen und Erfahrungen über die Welt vor, um sich adäquat und selbstständig in dieser zurechtfinden zu können. Jedoch sollte im Mittelpunkt der Erziehung stehen, dass Kinder auf einer respektvollen, freiwilligen Basis lernen und ihr Alltag nicht von Kommandos und Gehorsam geprägt sein sollte. Das hemmt schlussendlich die kreative Entfaltungsmöglichkeit und somit das Gesamtpotenzial des Kindes.
Um adultistische Kreisläufe zu durchbrechen, bedarf es einer bewussten Entscheidung eines Erwachsenen existierende Regeln zu hinterfragen, um die Diskriminierung zu durchbrechen. Folgende vier Fragen können dabei hilfreich sein:
– Dient jeweilige Regeln der eigenen Bequemlichkeit?
– Soll mit ihr die Überlegenheit Erwachsener demonstriert werden?
– Soll ein Machtkampf dem Kind seine Machtlosigkeit verdeutlichen?
– Oder dient eine Regel wirklich dem Schutz des Kindes?
Wir alle kennen es aus der Kindheit und können uns noch wahrscheinlich gut an das Gefühl der Machtlosigkeit erinnern. Die kleinen Kränkungen von Erwachsenen, die uns allesamt geprägt haben. Falls wir daran aktiv etwas ändern wollen, dann sollten wir uns in unserer eigenen Erziehung immer wieder innehalten und hinterfragen. So kann es einem vielleicht ein Stück weit gelingen, Adultismus im Alltag abzubauen, um sich und seinem Kind unnötigen Stress durch zusätzliche Diskriminierung zu ersparen.
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