Die Zahl der Coronainfektionen steigt in Österreich wieder rasant an. Vor einigen Monaten wäre bei 2000 Neuinfektionen pro Tag bereits ein Lockdown eingeläutet worden – dass dies nicht geschieht, haben wir der Impfung zu verdanken. Das sehen die Protagonist:innen des Dokumentarfilms „Eine andere Freiheit“ jedoch anders: Die Politik und der „Impfzwang“ hätten Schuld am Elend der Jugend.
Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Coronaleugner:innen diesen sogenannten Dokumentarfilm als seriöse Quelle für ihre gefährlichen Thesen heranziehen. Eine Reihe an „engagierten Menschen aus Kunst und Kultur“ erklären in 80 Minuten, weshalb der Impfstoff obsolet oder gar gefährlich ist.
Besorgte Mamis und Papis aus der Kulturbranche echauffieren sich darüber, dass ihre Kinder durch die Impfung gefährdet wären. So auch Nina Proll, die mehr durch ihre polarisierenden Aussagen als durch ihr Schauspiel bekannt wurde. „Ich habe als Mutter die Verantwortung dafür, mein Kind vor Aktionismus der Politik, um eine Scheinsicherheit zu gewährleisten, zu schützen“, predigt sie in einem Interview.
Von welchem Aktionismus und von welcher Scheinsicherheit ist hier die Rede? Ist damit der Impfstoff gemeint, der es uns ermöglicht, die Betten auf den Intensivstationen für schwer erkrankte Menschen freizuhalten? Fakt ist nämlich, dass die Zahlen der an einem schweren Verlauf erkrankten Patient:innen durch die Impfung gesunken sind.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Die meisten der mit Corona infizierten Intensivpflegepatient:innen sind ungeimpft. Daten aus Deutschland zeigen, dass 90% der Corona-Patient:innen in den Krankenhäusern nicht geimpft wurden.
ich finde die menschen, die sich auf die medizinischen meinungen von til schweiger und nina proll verlassen, sollten sich bei einem schweren covid verlauf auch von til schweiger und nina proll behandeln lassen.
— stefanie (@stefansargnagel) September 6, 2021
Til Schweiger als Experte für Grundrechte
Die Protagonist:innen der Dokumentation zeigen sich besorgt über die Freiheit der Kinder und Jugendlichen. Schauspieler Til Schweiger spricht von einer Außerkraftsetzung des Grundgesetzes. Spannend ist, dass nicht nur Coronaviren mutieren, sondern offenbar auch Schauspieler zu Juristen.
Wären die Recherchen für diesen Dokumentarfilm so ausgiebig gewesen, hätte Herr Schweiger auch mehr Ahnung von Grundrechten. In keinem Gesetz steht nämlich geschrieben, dass das Recht auf Freiheit jenes auf Gesundheit überwiegt. Es geht bei sämtlichen Maßnahmen schlussendlich nur um eines: Die Gesundheit der Bevölkerung. Auch wenn Verschwörungstheoretiker:innen anderes vermuten würden.
Til #Schweiger liefert mit seinen neuesten Äußerungen gegen das Impfen und "Grundrechtseinschränkungen" ein tolles Beispiel für den Dunning-Kruger-Effekt ab: Die "kognitive Verzerrung im Selbstverständnis inkompetenter Menschen, das eigene Wissen und Können zu überschätzen".
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 5, 2021
Wo sind die starken Eltern?
Opernsängerin Nina Adlon appelliert an die Zuschauer:innen, es würde starke Eltern brauchen, die nicht erlauben, dass ihre Kinder in „sowas hineingebracht werden“. Gibt es denn „starke Eltern“, die Coronaviren aufhalten können? Dann bräuchten wir nämlich keine Impfung mehr und der Staat könnte sich sämtliche Impfkampagnen und dadurch auch Geld ersparen.
Wieso benötigen wir Werbespots für die Covid-Impfung?
Miriam Stein, Schauspielerin, fragt sich an dieser Stelle, weshalb überhaupt für eine Impfung geworben werden müsse. Bei einem Flugzeugabsturz gäbe es schließlich auch keinen Werbespot für Fallschirme. Richtig, denn bei der Entscheidung zwischen dem Fallschirm – der wahrscheinlich lebensrettend ist – und dem sicheren Tod, fällt die Wahl klarerweise auf den Fallschirm.
Hier verlassen sich Menschen auf die Wissenschaft, denn schließlich wurden Fallschirme von Expert:innen entwickelt und haben sich über Jahrzehnte bewährt. Genauso ist es übrigens mit Impfungen. Bereits im 18. Jahrhundert wurde das erste Vakzin gegen Pocken hergestellt. Impfungen wurden über Jahrhunderte weiterentwickelt und konnten in unseren Breitengraden sogar Krankheiten ausrotten.
Warum benötigen wir also einen Werbespot, der uns zur Vernunft bewegen soll? Wir haben in unserem liberalen politischen System glücklicherweise die Freiheit, wählen zu dürfen. Zwischen der Impfung (mit etwaigen Nebenwirkungen) und einer Coronainfektion, die schlimmstenfalls sogar tödlich verlaufen kann. Diese Wahlfreiheit hat allerdings auch eine Kehrseite, wie diese Dokumentation wunderbar beweist: Das Recht auf freie Meinungsäußerung ermöglicht, dass jeder Mensch unzensiert seine „Meinung“ kundtun darf. Unabhängig davon, ob diese wissenschaftlich fundiert ist. Wie wir an diesem sogenannten „Dokumentarfilm“ nämlich sehen, reicht es schon, eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, die in der Pandemie offenbar zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat.
Keine Corona-Experten
Unter den im Dokumentarfilm auftretenden Ärzt:innen befinden sich vorwiegend Kinderärzt:innen, aber keine Virolog:innen. Dass Kinder unter den Auswirkungen der Coronakrise leiden, ist keine Frage. Unstrittig ist auch die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche weitaus weniger gefährdet sind, (schwer) zu erkranken. Jedoch sind sie durch Kindergarten und Schule eher der Gefahr ausgesetzt, sich zu infizieren und auch Viren an andere Personen zu übertragen.
Jedes Kind und auch Lehrer:innen haben Angehörige bzw. weitere Kontaktpersonen, die eine Infektion mit dem Coronavirus schwer treffen kann. Die Impfung schützt zwar auch nicht vor einer Ansteckung, verhindert aber in den meisten Fällen eine Hospitalisierung.
Kritik vs. Verschwörungstheorie
Es ist legitim, Kritik zu üben. Niemand wird in einer Demokratie dazu gezwungen, Autoritäten blind zu folgen. Jedoch sind Filme dieser Art mitverantwortlich an dem langsamen Impffortschritt, der das Ende der Pandemie verzögert und weitere Lockdowns erforderlich macht. Die Impfungen wirken, das zeigen die Zahlen. Selbst wenn sämtliche Wissenschaftler:innen Unrecht hätten, der mRNA-Impfstoff tatsächlich unfruchtbar – was übrigens auch durch viele Studien widerlegt wurde – machen würde und mit Aluminium und Quecksilber verseucht wäre: Haben wir in dieser Situation noch eine Wahl? Sind Menschen, die sich der Gefahr einer Coronainfektion aussetzen – und ja, die meisten Menschen werden sich früher oder später damit infizieren – die gleichen, die lieber mit dem Flugzeug abstürzen statt den Fallschirm zu nehmen?
Titelbild Credits: Shutterstock
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