Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar: Das Leiden der 2,3 Mio. Arbeitsmigrant*innen
Die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 steht vor der Tür und soll diesen Sonntag, am 20. November, in Katar starten. Doch die Arbeitsbedingungen in dem Emirat sind verheerend. Die Arbeitsmigrant*innen, die Katar den Traum von der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 im eigenen Land erst erfüllen sollen, müssen unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten. Tausende Gastarbeiter*innen mussten deshalb seit der Vergabe 2010 bereits mit ihrem Leben bezahlen.
Unterbezahlt, ausgebeutet und während der Arbeit unter unklaren Bedingungen verstorben. Zu diesen Erkenntnissen kommt die Organisation „Amnesty International“, welche in einem Bericht veröffentlicht wurden. Die darin zitierten Regierungsdaten zeigen, dass zwischen 2010 und 2019 15.021 Arbeitsmigrant*innen aller Altersgruppen in Katar gestorben sind. Die Todesursachen dafür wurden jedoch nicht angemessen untersucht. Als Grund des Ablebens werden vage Formulierungen wie „natürliche Ursachen“ genutzt.
Auch der englische „Guardian“ berichtete im Februar 2021 über die katastrophalen Arbeitsumstände und den Tod von über 6.500 Gastarbeiter*innen aus Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesh und Sri Lanka. Die tatsächliche Zahl der Todesfälle wird in dem Bericht jedoch um einiges höher eingeschätzt, da die Todeszahlen von anderen Herkunftsländern, wie etwa den Philippinen oder Kenia, nicht miteinberechnet wurden. Laut dem Bericht seien die Arbeiter*innen etwa an Hitze, plötzlichen Herztod oder Überlastung gestorben.
Ausbeutung und extreme Abhängigkeitsverhältnisse
Während die FIFA mit der Fußball-Weltmeisterschaft gigantische Profite erzielt, scheint das Leiden der vielen Gastarbeiter*innen, welche die Weltmeisterschaft 2022 erst möglich machen, kein Ende zu nehmen und ihre humanitären Rechte auf der Strecke zu bleiben. In einigen Ländern fordern Stimmen deswegen nun den Boykott des Turniers. Aus den Recherchen und Berichten von Amnesty International geht hervor, dass Arbeitsmigrant*innen in Katar wohl gezwungen werden, bis zur vollständigen Erschöpfung zu arbeiten. An ihnen wird übermäßige Kontrolle ausgeübt und sie befinden sich in extremen Abhängigkeitsverhältnissen. Arbeitgeber*innen zahlen ihnen ihre Gehälter viel zu spät oder gar nicht aus, halten Maximalarbeitszeiten nicht ein und hindern diese so an einem Jobwechsel. Arbeiter*innen klagen über überfüllte Quartiere, schlechte Verpflegung und unzureichende Sanitäranlagen.
© Shutterstock
Sexuelle Übergriffe und Gewalt
Obwohl auf Katars Baustellen so gut wie keine Frauen arbeiten, gibt es dennoch mehr als 100.000 Gastarbeiterinnen. Sie arbeiten vor allem als private Hausangestellte und Dienstmädchen – häufig geht es ihnen dabei noch schlechter als Männern. Denn die Frauen, die häufig aus Südostasien oder Afrika kommen, müssen unter prekären Bedingungen arbeiten und werden oft wie Sklavinnen behandelt. Dabei stehen 16 Stunden Arbeitszeit pro Tag und sieben Tage-Wochen an der Tagesordnung. Viele bekommen jahrelang keinen einzigen freien Tag. Darüber hinaus sind viele noch sexueller und häuslicher Gewalt ausgesetzt. „Ich werde wie ein Hund behandelt“, berichtete eine Frau. In einer Befragung von Amnesty International geht hervor, dass 87 der 105 von Amnesty befragten Dienstmädchen der Reisepass abgenommen wurde — zahlreichen Frauen auch das Handy. Für die meisten Frauen ist es also unmöglich, ihren Arbeitgeber zu verlassen oder Anzeige zu erstatten.
Im Kontext der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 geht das Leiden der Gastarbeiterinnen häufig unter. Dies liegt einerseits daran, dass diese für Hilfsorganisationen schwerer zu erreichen und nicht wirklich sichtbar sind, andererseits aber auch daran, dass die WM ihre Schicksale nicht unmittelbar berührt. Der Fokus liegt vor allem auf den vielen Baustellen der Stadien und den damit zusammenhängenden tausenden Todesfällen, die ohne die WM-Vergabe so nicht stattgefunden hätten.
Fußball-Weltmeisterschaft 2022 — Das Schweigen der FIFA
Kurz vor dem Start der Fußball-Weltmeisterschaft hat Amnesty International die Forderungen nach einem Entschädigungsfonds für Arbeitsmigrant*innen erneuert und Katar sowie den FIFA-Präsident Gianni Infantino für sein Schweigen über die humanitäre Lage und das fehlende Setzen von Maßnahmen stark kritisiert. Denn Katar und der Weltverband Fifa klammern sich nach wie vor an ihre offizielle Realität, wonach das katarische Arbeitsrecht große Fortschritte mache.
Zu den aktuellen Vorfällen und Todeszahlen wollen sie sich kaum äußern. „Inmitten dieses wachsenden Aufschreis hat die wichtigste Stimme von allen auffallend geschwiegen: die von Gianni Infantino“, schrieb die Amnesty-Generalsekretärin Agnes Callamard in einem Beitrag am 11. November 2022 in der französischen Zeitung „Le Monde“.
Titelbild © Shutterstock
DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN
Impfstoffe und Profitgier: Wenn die Pandemie niemals endet
Die Impfbereitschaft der ÖsterreicherInnen steigt weiter an. Die einzig mögliche Lösung der Corona-Probleme scheint auf ihrer Zielgeraden immer mehr Menschen […]
Doxxing: Ethisch vertretbar oder potenziell gefährlich?
Doxxing hat sich bei Konflikten mittlerweile seinen Weg in den Mainstream gebahnt. Manche sehen es als Instrument, andere als Bedrohung!
Nahtoderfahrungen: Real oder doch nur Konstruktion des Gehirns?
Sind Nahtoderfahrungen real oder doch nur Fiktion? Wissenschaftler*innen haben sich dieser Frage gewidmet.
Greenwashing - wenn Unternehmen die Verbraucher verhöhnen
Nachhaltigkeit und fairer Handel wird in unserer Gesellschaft immer wichtiger, das haben längst auch Unternehmen begriffen, denn Bio, Fairtrade und Co. verkaufen sich gut. Der Markt der Zukunft ist grün, zumindest optisch. Oft steckt aber eine glatte Lüge dahinter.
The Good Mothers: Das Leben als Frau in der Mafia
In der Serie The Good Mothers wird die abgelutschte Mafia-Story endlich aus weiblicher Sicht erzählt. Sehenswert.
Corona-Apps - Univ.-Prof. Dr. Coeckelbergh über Solutionism und gefährliche Langzeitfolgen
Corona-Apps sind in aller Munde und werden von vielen Regierungen befürwortet. Der Technikphilosoph Univ.-Prof. Dr. Mark Coeckelbergh von der Universität Wien betont, dass endlich mehr Diskussion darüber stattfinden müsse, wie technische Innovationen unsere Gesellschaft beeinflussen.