Zwischen einer Gesetzesänderung für Transsexuelle in Spanien und der Veröffentlichung eines Videos kommt es zu einer großen Debatte diverser feministischer Ausrichtungen und auch anderer politischer Gruppierungen. Gefahrenpotenzial von sexuellen Übergriffen. Unterwanderung von Frauenrechten. TERF-Bezichtigungen – zum Begriff später mehr . Nur ein Gegenschlag des Patriarchats oder doch einfach eine angemessene Möglichkeit zur Selbstbestimmung? Ein Einblick in den Kampf um Rechte und die Frage, ob das alles schon transphob ist.
Ley Trans: Trans-Gesetz löst heftige Diskussion aus
Künftig soll es spanischen Bürger:innen aufgrund des Trans-Gesetzes möglich sein, das Geschlecht ab dem 16. Lebensjahr frei zu wählen – ab dem 12. Lebensjahr mit Zustimmung der Eltern. Bisher gab es in Spanien bestimmte Voraussetzungen. Nämlich eine Diagnose einer Geschlechtsdysphorie (das Geschlechtsidentitätserleben stimmt nicht mit den Geschlechtsmerkmalen des Körpers überein) und eine Hormonbehandlung von mindestens 2 Jahren.
Einzig eine Willenserklärung soll zukünftig für die behördliche Änderung des Geschlechts reichen. So ist es auch der Fall in sechs weiteren europäischen Staaten – Belgien, Dänemark, Irland, Luxemburg, Malta und Portugal. Der Europarat empfahl, einerseits die medizinische Diagnose und Behandlung als Voraussetzung abzuschaffen und andererseits Verfahren zu entwickeln, die geschlechtliche Selbstbestimmung zu erleichtern.
Lieber Herr Schmid, es geht nicht nur um Toiletten, sondern um alle geschlechtergetrennten Räume – Frauenhäuser, Obdachlosenheime, Gefängnisse, Krankenhauszimmer, Jugendherbergen, Pflegeheime, Menstruationsgruppen, Umkleiden, Sporträume usw. Im englischsprachigen Raum 1/
— Rhea Krcmárová (@Rhealicious) June 29, 2021
Feministischen Bewegungen äußern Bedenken. Nämlich die Angst vor Übergriffen in Toiletten. Nur vermeintlich transsexuelle und nicht biologisch weibliche Insassen in Frauengefängnissen. Oder auch die Thematik der Frauenhäuser. Diese Bedenken zu hören, gilt es allein aufgrund der Tatsache, dass in den Rechtsraum von Cis-Frauen eingegriffen wird.
Jedoch gilt es nicht zu vergessen, dass eine in weiten Teilen der Welt unterdrückte Minderheit hier Thema einer Debatte ist, die nun auch von Rechtskonservativen und sogenannten TERFs instrumentalisiert wird.
Von TERFs und der berechtigten Frage nach dem Schutz von Frauenräumen
Vorab erstmal die Frage, was denn TERF sei. Die Abkürzung steht für Trans-ausschließenden radikalen Feminismus (engl.: Trans-Exclusionary Radical Feminism) und dient zur Abgrenzung von Frauenbewegungen, welche die Existenz von Transfrauen anzweifelt oder gar nicht erst anerkennt.
Dieser Begriff kommt aktuell zu einer inflationären Verwendung, weil vielseits auch rationale Bedenken somit leicht abgetan werden – dies sollte nicht geschehen. Jedoch bedienen sich auch rechtskonservative Bewegungen der Debatte, um Transsexuelle zu diffamieren.
Die Kollision zweier Rechtsräume von in der Gesellschaft benachteiligten Gruppen stellt einen scheinbar äußerst schwierigen Balanceakt zwischen liberalen Entwicklungen und überstürzten Entscheidungen dar. Immerhin öffnet sich so ein einfacher Zugang zu (Schutz-)Räumen von Frauen für potenzielle schwarze Schafe, die sich gar wirklich nur zum Zwecke von Übergriffen als Frau ausgeben könnten, so die Argumentation von Kritiker:innen.
Andererseits stellen die aktuellen Entwicklungen eben auch eine notwendige Bewegung in Richtung Gleichstellung von benachteiligten Minderheiten dar. Und mehrheitlich – ich spreche hier von 99,9% – handelt es sich bei Transfrauen nicht um Männer, die Frauen vergewaltigen wollen. Die, die das wollen, tun das auch ohne Status „Frau“.
Durch ein kürzlich veröffentlichtes Video bekam die Debatte noch mehr Emotionalität:
The woman was confronted by a woke male ally who tried to insist that the man was "transgender."
"It must be hard not being a real man, huh? Try it."
Part 2 pic.twitter.com/PjdV9pXE75
— Ian Miles Cheong (@stillgray) June 27, 2021
Gepostet von Ian Miles Cheong, Skandalnudel und Trump-Supporter, veranschaulicht das Video den Eintritt in Frauenräume. Was jedoch nicht zu sehen ist: Die Hintergründe „der Transfrau/des Mannes“, seine Sichtweise und der reale Ablauf. Sprich, es kommt zu einer Diffamierung ohne genaue Kenntnis der Umstände. TERFs und rechtskonservative Gruppierungen missbrauchen nun undifferenziert das Video zur Stimmungsmache.
Rechte Beschränken aufgrund von potenziellen Möglichkeiten?
So Komplex die ganze Diskussion erscheinen mag, bleibt letztlich die Frage – wird einem ein Recht genommen, weil einem anderen ein Recht zugestanden wird? Man erinnere sich an die fern scheinende Diskussion um Homosexuelle – ein Mann, der auf Männer steht, geht auf eine Männertoilette. Natürlich stellen Übergriffe auf Frauen durch Männer eine weitaus höhere Gefahr dar.
Doch analog kann die damalige Debatte um Homosexuelle hinsichtlich der neuen Entwicklungen und Akzeptanz von Randgruppen auf jeden Fall angewendet werden. Was nicht heißt, dass Ängste und Sorgen unbeachtet bleiben sollen. Wie man an der Diskussion im Internet aber sieht, geht es größtenteils wieder nur um Instrumentalisierung durch Transphobe und Rechtskonservative.
5. Schlage vor, dass wir dieser Gruppe einfach ein paar Inseln im Pazifik & Atlantik zuteilen & sie umsiedeln. Die können dann ihr skurriles Leben ausleben & so dem gesunden Menschenverstand mit ihrem Schwachsinn nicht mehr auf die Nerven gehen. #SelfID
— w00ke_mate (@w00t_mate) June 27, 2021
Die Identität von Transfrauen anzuzweifeln, ist per se Diskriminierung. Auch, wenn die Bedenken feministischer Bewegungen zum Teil nachvollziehbar sind, bringt es nichts, die Rechte einer bereits benachteiligten Minderheit wieder zu beschränken. Überspitzt dargestellt dürften sonst auch Männerbewegungen aufgrund der Frauenquote und des „Eingriffes in ihren (Arbeits-)Rechtsraum“ auf die Barikaden steigen. Logisch, dass es Angst vor Neuem gibt – wie schon bei den vorhin erwähnten Homosexuellen und der Homophobie (Phobie=Angst) führt dies nun zu einer Form der Transphobie.
Die Diskussion sollte sich jedoch viel mehr darum drehen, wie man eventuell verhindern könnte, dass die wenigen potenziellen schwarzen Schafe die Inklusion von Transfrauen in Frauenräumen ausnützen. Nicht, wie man Transfrauen erneut diskriminiert und diffamiert als Männer, die nur Frauen vergewaltigen möchten.
Die gleiche Problematik kennt man auch in Migrationsfragen. Nur weil es einen Terroranschlag gab, kann man nicht pauschal alle Migranten verurteilen. Doch genau dies geschieht bis zu einem gewissen Grad in der Debatte um „Ley Trans“ und mit Transfrauen.
Titelbild Credits: Shutterstock
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