Ein tragischer Mord, eine Verdächtigte, ein einziger Zeuge. Ein fulminantes Drama, in dem Beziehungen zwischen Mutter, Sohn und Ehemann infrage gestellt werden. Mit 2 Golden Globes in Hollywood ausgezeichnet, brilliert Sandra Hüller in „Die Anatomie eines Falls“ als erfolgreiche Schriftstellerin, die nach dem Tod ihres Mannes unter die Fugen der Ermittlungen gerät. Doch hat sie ihren Gatten wirklich umgebracht?
Vermeintliche Idylle in den Voralpen
Die Hauptprotagonistin Sandra Voyter (Sandra Hüller) lebt mit ihrem Mann Samuel Theis (Samuel Maleski) und deren 11-jährigen, sehbehinderten Sohn Daniel in den französischen Voralpen. Bei dem Ort handelt es sich um Samuels Heimatdorf, was Sandra nicht zuletzt sauer aufstößt, weil sie eigentlich nie aus London wegziehen wollte.
Anbahnung der Geschehnisse
Zu Beginn der Erzählung empfängt Sandra eine junge Studentin aus Grenoble, welche ihr in Form eines Interviews Fragen stellt. Die Autorin wirft der Studentin neckische Blicke zu und macht den Anschein, mit ihr zu flirten. Das Gespräch kann allerdings nicht fortgeführt werden. Aus dem Dachboden schallt lautstark Musik. Es ist der Ehemann von Sandra, welcher eine instrumentale Version des Liedes „P.I.M.P.“ von 50 Cent auf voller Lautstärke in Dauerschleife hört. Das Interview wird abgebrochen.
Ein Tod, der viele Fragen offen lässt
Die nächste Szene. Sohn Daniel will mit seinem Hund Snoop spazieren gehen und entdeckt seinen Vater blutüberströmt vor dem Haus. Er ist tot, der Junge schreit panisch nach seiner Mutter. War es Selbstmord, ist er aus dem Fenster des Dachbodens gefallen oder wurde er doch umgebracht?
So kommt es zu einem Prozess und auch Sandra gerät unter Mordverdacht. Während der Gerichtsverhandlung, welche gut 2/3 des Films einnimmt, werden intime Details der Familie gelüftet, so erfahren die Zuschauer*innen unter anderem, dass Sohn Daniel wegen eines tragischen Unfalls in jungen Jahren sein halbes Augenlicht verlor. Samuel hätte ihn an diesem Tag abholen sollen, schickte aber einen Babysitter. Er wurde im Straßenverkehr erfasst und Samuel gibt sich bis heute noch die Schuld dafür.
Zudem wird während des Prozesses eine Audioaufnahme von Samuel zu einem zentralen, ausschlaggebenden Punkt des Geschehens, da sie einen Beziehungsstreit kurz vor dem Tod zwischen den Eheleuten aufzeigt und Fragen aufwirft.
Traditionelle Rollenbilder
Der Streit dreht sich unter anderem um die gerechte Aufgabenverteilung innerhalb ihrer Familie. Samuel wünscht sich mehr Zeit, um zu schreiben, worauf Sandra erwidert, er solle sie sich doch nehmen. Dieser wirf ihr darauf hin vor, sie würde ihn nicht unterstützen und irgendwer müsste den elterlichen Pflichten ja nachkommen.
Der Streit eskaliert und ein Schlag ist zu hören. Dieser kommt von Sandra, sie beteuert jedoch, es wäre der erste und einzige gewesen. Der Ehemann erscheint als erfolglos und antriebslos, während seine Frau Karriere macht. Die Regisseurin Justine Triet stellt damit das traditionelle Rollenbild infrage.
Tonaufnahmen, die mehr verraten könnten
Das Aufrollen der Geschehnisse erfolgt vor allem durch die Tonrückblenden, welche Samuel an und für sich für künstlerische Inspirationen aufgenommen haben soll. Anders als im Gerichtssaal sehen die Zuschauer*innen teilweise den Streit und bekommen somit ein anderes Bild der Geschichte zu sehen. Die visuelle Rückblende verstärkt somit den Ausdruck des Streits.
Ob Sandra Voyter nun die Mörderin ist, rückt im Laufe der Geschichte immer weiter in den Hintergrund. Regisseurin Triet könnte damit aufzeigen, dass es vermutlich keine absolute Wahrheit gibt, da das Ende auch nicht ganz eindeutig ist. Sandra Hüller verwendet diese Ambiguität bis zum Schluss, da ihre Figur bis zuletzt nicht ganz entschlüsselt wird.
Der Hund als Botschaftsüberträger
Daniel, der auch vor Gericht aussagen muss, wird von der Justizangestellten Marge durch den Alltag begleitet, um sicherzustellen, dass seine Aussage nicht durch die Mutter manipuliert wird. Daniel gibt kurz vor der Vernehmung den Wunsch ab, die Tage vor seiner Aussage alleine mit Marge verbringen zu wollen. Er beschließt seinem geliebten Hund Snoop Aspirin zu geben, um eine Theorie zu überprüfen.
Nach eines Suizidversuchs seines Vaters übergab der sich und Snoop fraß das Erbrochene, von dem Daniel vermutete, Aspirin sei darin. Die Theorie stellte sich als wahr heraus, da der Hund die gleichen Symptome wie damals zeigt. Daniel gerät in Panik und so rettet Marge seinen Hund, indem sie ihm Salzwasser verabreicht.
Im Endeffekt wird Sandra freigesprochen, nachdem Daniel von einer herzzerreißenden Konversation mit seinem Vater erzählt, als dieser mit ihm und Snoop, kurze Zeit nach seines Selbstmordversuchs am Weg, zum Tierarzt ist. Dabei versucht Samuel Daniel mit dem möglichen Tod seines Hundes zu sensibilisieren. Wenn man einen Moment weiter darüber nachdenkt, könnte er dabei nicht den Hund meinen, sondern sich selbst. Samuel hat so vielleicht versucht, seinem Sohn sein bevorstehendes Verschwinden (durch einen Selbstmord) indirekt zu vermitteln.
Schuld oder Unschuld
Spannend bis zur letzten Minute wird der Zuschauerschaft das Urteil über Schuld und Unschuld überlassen. Auch wenn Sandra Hüller es nicht immer schafft, durch die Sympathie ihrer Rolle zu punkten, schafft sie es jedoch immer wieder, das Publikum auf ihre Seite zu ziehen.
Titelbild © 2023 Les Films Pelléas/Les Films de Pierre via Filmstarts
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