Narzissmus – vor allem der Begriff – ist mit zahlreichen Missverständnissen und fehlerhaften Annahmen verbunden. Ein Großteil dieser Unklarheiten beruht auf der falschen Vorstellung, dass es nur den pathologischen und daher toxischen Narzissmus gibt. Es gibt darüber hinaus aber auch einen gesunden Narzissmus, den wir alle haben sollten.
Gesunder Narzissmus und ein stabiles Selbstwertgefühl
Warum wir auf eine gesunde Art narzisstisch veranlagt sein sollten, müsste eigentlich auf der Hand liegen. Wer – vor allem bei beruflichen und privaten Rückschlägen – um seinen Wert als Mensch Bescheid weiß, bedeutet, dass er oder sie wertvoll ist, trotz des Scheiterns, trotz der Niederlage, trotz der missglückten Beziehung, trotz der frustrierenden Partnerschaft usw. der oder die ist mit sich selbst im Reinen und kommt, was wichtig ist, ohne Vergleiche aus.
Ein Grundproblem des sich häufenden Unglücks, das viele Menschen empfinden, liegt vor allem in diesem Vergleich mit anderen. Vor allem in den sozialen Medien vergleichen sich die Menschen untereinander. Sehr oft leider mit den Bildern aus dem Leben der Reichen und Berühmten, mit dem sie natürlich nicht mithalten können.
Ein Urlaubsfoto aus der geilen Villa mit Strandzugang ist für Kim Kardashian mit Sicherheit leichter zu bewerkstelligen als für Otto und Ottine Normalverbraucher*in. Müsste jedem klar sein. Ist es aber bedauerlicherweise nicht. Dass vor allem Instagram als toxisches Netzwerk gilt, ist mittlerweile bekannt. Gibt sogar eine gelungene Arte-Doku zu dem Thema.
Wie dem auch sei. Wenn die Eigenliebe und der Selbstwert eines Menschen jedoch gesund genug sind, er oder sie über ein stabiles Selbstwertgefühl verfügt, dann ist es für diese Person nicht nötig, sich mit anderen zu vergleichen bzw. sich anderen gegenüber künstlich aufzublasen.
Narzissmus als Teil einer jeden Entwicklung
Dass wir mit so einem stabilen Selbstwertgefühl jedoch nicht einfach so auf die Welt kommen, ist eine oftmals vergessene Tatsache. Denn jeder Mensch ist narzisstisch. Zumindest gibt es Lebensphasen, in denen wir besonders narzisstisch sind. Als Kinder zum Beispiel. Also bevor wir gelernt haben, dass die Welt sich nicht nur um uns dreht. Als Teenager, wenn die Hormone verrücktspielen, sind wir ebenfalls narzisstisch. Sogar noch als junge Erwachsene, wenn wir um unsere Identität kämpfen.
Narzissmus begleitet uns hier in allen Phasen – auf eine gesunde und natürlich Art. Denn all diese Lebensphasen sind richtige und wichtige Entwicklungsschritte. Auch die eine oder andere narzisstische Verletzung aus der Kindheit tragen viele Menschen mit sich herum und so schwankt auch der Selbstwert eines erwachsenen Menschen von Zeit zu Zeit. Klar, nicht jeder ist immer nur erfolgreich (natürlich Definitionssache), zumindest empfindet man sich nicht immer so.
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Gesunder Narzissmus – drei Ansätze
Narzissmus ist also unser alltäglicher Wegbegleiter. Doch wie das bei diesen Wegen so ist, biegt der eine* oder die andere leider einmal auch falsch ab und der ehemals gesunde Narzissmus mündet in einen pathologischen. Zur Unterscheidung von gesundem und pathologischem Narzissmus gibt es drei Ansätze. Diese drei und noch viel mehr hilfreiche Informationen zum Thema Narzissmus findest du in Turid Müllers lesenswerten Buch Verdeckter Narzissmus in Beziehungen.
1. Ansatz
Eine der vorherrschenden Annahmen in der Wissenschaft ist, dass gesunder und krankhafter Narzissmus zwei Pole einer Eigenschaft sind und auf einem Kontinuum liegen – sprich: Menschen mit einer narzisstischen Störung haben demzufolge schlicht „zu viel des Guten“ erwischt.
2. Ansatz
Bezüglich Narzissmus gehen viele Expert*innen davon aus, dass es nicht zwei verschiedene Arten des Narzissmus gibt, sondern dass vielmehr ein einziger Narzissmus beides hat: gesunde und eher ungesunde (pathologische) Ausdrucksformen.
3. Ansatz
Dem widersprechend, gibt es natürlich auch die Auffassung, dass ein gesunder und ein krankhafter Narzissmus „zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sein könnten“, wie Turid Müller in ihrem Buch erklärt. „Denn positiver oder gesunder Narzissmus bedeutet, dass wir einen stabilen Selbstwert haben und förderliche Strategien, um diesen zu regulieren. Pathologischer Narzissmus zeichnet sich durch das Gegenteil aus: Minderwertigkeitsgefühle und eine dysfunktionale Selbstwertregulation.“
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Gesunder Narzissmus – ein Fazit
Eine narzisstische Abwehrreaktion gegenüber Gefühlen der Minderwertigkeit haben alle Menschen. Zur eigenen Ehrenrettung haben bestimmt schon viele einmal einen der klassischen Tricks angewandt, wie zum Beispiel, schlecht über die Konkurrenz reden, Kritik bewusst oder unbewusst einfach nicht hören wollen und so weiter. Auch wenn das schon öfter vorgefallen ist, sind wir noch lange nicht pathologisch.
Beim pathologischen Narzissmus ist diese Entwertungsabwehr oder dieser Grandiositätsanspruch zum Schutz der eigenen Meinung von sich jedoch besonders gnadenlos, besonders stark ausgeprägt. Das Ganze ist daher recht komplex. Und es ist nicht leicht zu bestimmen, wo denn der gesunde Narzissmus endet und der pathologische Narzissmus beginnt.
Sicher ist nur, dass die narzisstische Persönlichkeitsstörung und ihre mildeste Form der narzisstischen Persönlichkeitsakzentuierung weit über das hinausgehen, was man unter gesundem Narzissmus oder alltäglichen Selbstwert-Schwankungen versteht.
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