Schon von Kindesbeinen an wird uns vermittelt, dass Zweisamkeit und Ehe sowie die Gründung einer Familie, die wichtigsten Etappen eines erfüllten Lebens sind. Für viele vielleicht ein ganz passables Modell. Es kommt jedoch sehr oft vor, dass Menschen alleine bleiben – ob gewollt oder nicht. Der südkoreanische Begriff „Honjok“ bezeichnet die Kunst, glücklich mit sich selbst zu sein. Das japanische Phänomen der „Hikikomori“ bezeichnet Menschen, die sich zurückziehen und gar keinen Kontakt zu anderen Menschen mehr wünschen. Auch wenn die Gründung einer traditionellen Familie als erstrebenswert dargestellt wird, bleiben immer mehr Menschen alleine. Trotz Single Shaming oder vielleicht auch gerade diesem zum Trotz?
Kernfamilie: ein Konstrukt
Unsere Gesellschaft ist klarer strukturiert und organisiert, als es vielen womöglich bewusst ist. Es wird angenommen, dass wir Menschen nur durch eine romantische Beziehung vollständig und glücklich sein können. Auf diese traute Zweisamkeit folgt natürlich das Konzept der Ehe und die darauffolgende Gründung einer Familie als Lebensziel. Das Ganze wird auch als Kernfamilie bezeichnet. Vater – Mutter – Kind(er). Dass diese, scheinbar so natürliche Konstellation, eigentlich ein Konstrukt ist, wissen nur die wenigsten.
Das Phänomen dieser sogenannten Kern- oder Kleinfamilie, die durch enge Verwandtschaftsbeziehungen gekennzeichnet ist, wurde in Deutschland nämlich erst im 18. Jahrhundert üblich. Vor dieser Zeit gab es nicht einmal einen spezifischen Begriff für die Gruppe von Eltern und Kindern. Man verwendete einfach den Begriff „Haus“.
Das vorindustrielle Zeitalter
Die traditionelle vorindustrielle Gesellschaft zeichnete sich durch eine Lebensweise aus, die unabhängig vom Markt war und auf familiärer sowie subsistenzieller Wirtschaft basierte. Das „Haus“ repräsentierte dabei eine wirtschaftliche Produktions- und Lebensgemeinschaft, die auf Selbstversorgung und wirtschaftliche Eigenständigkeit ausgerichtet war.
Die soziale Struktur des „ganzen Hauses“ war bis zur Industrialisierung das vorherrschende und weit verbreitete Wirtschafts- und Sozialgefüge. Insbesondere für die bäuerliche und handwerkliche Lebensweise. Der Begriff „Haus“ umfasste sämtliche Personen, die unter der Leitung eines Hausvaters zusammenwohnten, arbeiteten und aßen. Dabei standen natürlich nicht alle Mitglieder dieses Verbandes in verwandtschaftlicher Beziehung zum Hausvater – im Grunde nur die wenigsten.
Mythos Großfamilie
Es wird immer noch angenommen, dass die vorherrschende Familienform in der vorindustriellen Gesellschaft die Groß- oder Dreigenerationenfamilie war. Es wurde vermutet, dass mit dem Beginn der Industrialisierung eine Verringerung der Familiengröße einsetzte. Diese Annahme erweist sich bei genauerer Betrachtung jedoch als nicht zutreffend und gilt als überholt.
Tatsächlich ermöglichte die Entstehung überregionaler Märkte gegen Ende des 18. Jahrhunderts erst eine außerhäusliche Erwerbstätigkeit, Unabhängigkeit vom elterlichen Erbe, frühe Heirat und größere Familien. Aufgrund der hohen Sterberate war ein Mehr-Generationen-Haushalt auch eher unwahrscheinlich.
Der Umfang vorindustrieller Familien war daher nicht durch Großeltern bedingt, sondern gründete auf den Miteinbezug des Dienstpersonals einer Familie. Alleinsein war damals bzw. eine lange Zeit lang ein Ding der Unmöglichkeit, da die Infrastruktur für einen solchen Lebensstil ganz einfach nicht vorhanden war.
Familie im Wandel
Die derzeitigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zustände (hohe Mieten, niedrige Löhne, exorbitante Lebenserhaltungskosten) führen genau zu demselben Problem: es ist wirtschaftlich einfach günstiger in einer Wohngemeinschaft zu leben.
Die Frage ist jetzt natürlich, ob der gesellschaftliche Wunsch nach der Kernfamilie unbewusst auch nicht etwas mit einer ökonomischen Absicherung zu tun hat. Und das wirtschaftliche Konzept nur von einem romantischen Nebel umhüllt wir, um eine ökonomische Tatsache zu verhüllen. Doch das ist eine andere Geschichte. Das Hochhalten der Familie bleibt bestehen.
Und das, obwohl die Fakten eine ganz andere Sprache sprechen:
Und das, obwohl in den vergangenen Jahren ein geradezu essenzieller Wandel der privaten Lebensformen, sowie die Veränderung von Ehe und Familie zu bezeugen ist. Das spätere Heiratsalter, die steigenden Scheidungsraten, die rückläufigen Geburtenzahlen, die Zunahme von Einpersonenhaushalten und kinderlosen Ehen haben dazu geführt, dass die Rolle von Ehe und Familie immer mehr infrage gestellt wird.
Es wird diskutiert, ob wir uns auf dem Weg zu einer Single-Gesellschaft befinden oder möglicherweise sogar auf dem Weg zur Greisenrepublik sind. Die Vorstellung eines Lebens mit Abschnittspartner*innen und Einzelkindern oder sogar das Aussterben der Normalfamilie werden thematisiert. Die Zukunftsaussichten für das Phänomen der Normalfamilie werden gegenwärtig in düsteren Farben gemalt, wobei sogar von einer Krise und einem möglichen Zerfall die Rede ist.
Honjok: die bewusste Entscheidung für das Alleinsein.
Bedeutet: immer mehr Menschen streben einem Single-Leben entgegen, das angesichts des primären Wunsches nach Selbstverwirklichung, aber auch aufgrund einer narzisstischen Egomanie, nur noch schwer mit einem traditionellen Zusammenleben vereinbar ist. Zugleich zelebriert die Gesellschaft aber weiterhin das Phänomen Ehe und Familie als primäres Ziel. Alleinsein und Alleinsein wollen, sind daher immer noch mit Scham behaftet.
In Südkorea wird dieses Lebensmodell des Alleinseins durch den Begriff „Honjok“ charakterisiert. Dieser bedeutet übersetzt so viel wie Einpersonenstamm. Personen, die bewusst und zufrieden alleine leben, bezeichnen sich als Honjokker*innen. In ihrem Buch „Honjok, Die Kunst, allein zu leben“, betonen die Autorinnen Francie Healey und Crystal Tai, dass viele Honjokker nicht heiraten und sich ganz bewusst dazu entscheiden, ihr Leben alleine und gemäß ihren eigenen Bedürfnissen zu gestalten.
Phänomen Honjok
Der Begriff „Honjok“ tauchte erstmals 2017 als Hashtag auf. Junge Koreaner*innen nutzten ihn, um sich von den kollektivistischen Erwartungen der südkoreanischen Gesellschaft zu distanzieren.
Besonders für Frauen bietet das Alleinleben die Möglichkeit, Autonomie und Individualität zu bewahren. Denn leider ist es in Südkorea, wie auch in vielen anderen Ländern der Welt, immer noch die Norm, dass Mütter ihren Arbeitsplatz verlieren und die gesamte Care-Arbeit in der Familie übernehmen.
Hikikomori – Einsamkeit in Japan
Ganz anders verhält es sich mit dem japanischen Phänomen, der sogenannten „Hikikomori“. Dieser Begriff bezeichnet Menschen, die wochenlang hinter verschlossene Türen leben und sich von allen anderen abkoppeln. Aufgrund von Scham kapseln sich die Hikikomori immer mehr ab. Aus Angst vor der Welt und der Gesellschaft bleiben sie alleine.
Mithilfe des Internets, ihrer Handys und Computer, fliehen sie vor dem Druck in der Schule oder in der Arbeit in ihre eigene Welt und kehren der Gesellschaft den Rücken. Auch eine selbstgewählte Isolation, wenn auch extrem problematisch, da diese mit Depressionen einhergeht.
Honjoker*innen sind abenteuerlustig
„Honjok“ im Vergleich zum „Hikikomori“ bedeutet jedoch nicht, sich komplett zurückzuziehen. Healey und Tai betonen: „Honjoker sind Menschen, die gerne alleine sind und dabei viel unternehmen. Sie betrachten kritisch die gesellschaftlichen Werte Südkoreas, die den Bedürfnissen und Wünschen der Gemeinschaft einen höheren Stellenwert einräumen als dem Individuum.“ Honjoker*innen Unternehmen also die gleichen Dinge wie andere Menschen – nur gerne auch alleine.
Alleinsein auf dem Vormarsch
Dieses Lebensmodell findet natürlich nicht nur in Südkorea Anklang. In Deutschland hat der Anteil der Singlehaushalte in den letzten Jahren stark zugenommen und liegt aktuell bei knapp 41 Prozent. Natürlich ist nicht jede alleinlebende Person automatisch von Einsamkeit betroffen. Dennoch ist Einsamkeit im Alter ein recht verbreitetes Problem.
Diese Hinwendung zum Alleinsein mag auch daran liegen, dass die romantische Paarbeziehung zunehmend ihren Status als die einzige und ultimative Lebensform verliert. Eine Beziehung kann zwar wunderbar sein, aber tiefe Freundschaften oder Wahlfamilien können ebenfalls das Bedürfnis nach Nähe erfüllen.
Hikikomori, Honjok und Co: ein Fazit
Letztendlich muss jede Person für sich selbst entscheiden, ob „Honjok“ zu ihr oder ihm passt. Doch eine wertvolle Erkenntnis dieses Lebensmodells ist sicherlich die Anerkennung der Zeit mit sich selbst. Selbstgewähltes Alleinsein ist nicht zwangsläufig bedauerlich, sondern kann bereichernd und ein Ausdruck von Selbstliebe sein.
Die Kehrseite davon ist jedoch vielleicht auch die Ausprägung einer verqueren Egozentrik, die ein Leben zum Wohle der Gemeinschaft immer schwieriger macht, da jeder und jede womöglich nur noch sich selbst zum Zentrum hat.
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