Seit der Verkauf und Konsum von CBD Produkten in Österreich legalisiert wurde, schießen derartige Shops wie Eierschwammerl aus dem Boden. Cannabis als rundum Heilmittel erlebt eine neue Welle des Erfolges. Doch ob es sich dabei tatsächlich um ein Wundermittel handelt und wie Marihuana allgemein in der Medizin eingesetzt werden kann, haben wir beim Experten Dr. Kurt Blaas nachgefragt.
Wir haben für euch mit Dr. Blaas geredet, der sich schon seit den 80-ziger Jahren mit Cannabisprodukten in der Medizin beschäftigt. Der Allgemeinmediziner öffnete 1995, nach seiner Spezialausbildung für Drogentherapie am Wiener AKH, seine eigene Praxis, wo er heute u.a. Substitutionsbehandlungen mit Cannabinoiden durchführt.
Angefangen hat es mit PatientInnen, die zu Dr. Blaas in die Praxis kamen, nicht um ihren Cannabiskonsum zu beenden, sondern um damit anzufangen. Unter anderem handelte es sich dabei um einen Mann, der an Hodenkrebs litt. Dieser informierte sich bei Dr. Blaas, ob es Cannabisprodukten gibt, die neben der Chemotherapie unterstützend wirken.
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In den Vereinigten Staaten wurde bereits in den 1980ern mit dem Wirkstoff Dronabinol (in den USA unter Marinol vermarktet) gearbeitet. Dronabinol ist das synthetische Derivat zu THC. Dr. Blaas setzte daraufhin eine Etablierung in Österreich durch, die dazu führte, dass u.a. der Patient mit dem Hoden-Karzinom erfolgreich behandelt werden konnte.
Wie können Cannabisprodukte als Substitute eingesetzt werden?
„Cannabisprodukte können natürlich zur Substitution eingesetzt werden, Derzeit eignen sich am besten dazu ölige Lösungen von DRONABINOL, da Ihre Dosis (Milligramm) genau bestimmt werden kann. Auch pflanzliche Cannabinoide sind prinzipiell für eine Therapie geeignet.
Man benötigt jedoch dazu standardisierte pflanzliche Produkte, deren THC und CBD Gehalt in prozentuellen Anteilen angegeben werden muss. Als Beispiel nenne ich hier nur die Produkte der Firma BEDROCAN (NL), die als Tagesdosen in Milligramm oder Gramm angegeben werden müssen, zum Beispiel BEDIOL mit 6,3 % THC und 8% CBD.“
Wo liegen die Unterschiede von THC, CBD und Dronabinol als Therapieformen? Gibt es noch andere Cannabisprodukte die (bei Ihren Patienten) zum Einsatz kommen?
„CBD hat eine sehr geringe psychoaktive Wirkung (Anm. d. Red.: psychoaktiv – die Psyche beeinflussend; psychotrop – den Geisteszustand verändernd), wirkt nur in hohen Dosen sedierend und leicht schmerzstillend. Die antipsychotische und antikonvulsive (Anm. d. Red.: enkrampfende) Wirkung liegt bei der Entzugsbehandlung nicht im Vordergrund, deshalb ist CBD keine ideale Substanz für die Entwöhnungsbehandlung, ganz abgesehen von den hohen Kosten des Cannabidiols.
THC in Form von DRONABINOL, aber auch pflanzliche Extraktionen mit standardisiertem THC- und CBD-Werten sind viel besser einsetzbar, da sie richtig dosiert, gute schmerzlindernde, antidepressive und entspannende, sowie angstlösende Wirkungen haben.
Auch die schlafinduzierende Wirkung spielt im Entzug eine sehr wichtige Rolle und kann mit Dronabinol und Cannabisextrakten viel besser erreicht werden.“
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Können Sie ein bisschen von Ihrer persönlichen Erfahrung erzählen, wie Suchtpatienten auf Cannabis reagieren? Kann man wirklich mit Cannabis eine Heroinsucht überkommen? Und wenn ja, warum ist die Cannabis Therapie nicht weiterverbreitet?
„Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten und wird von Suchttherapeuten diametral beurteilt werden.
Aus meiner fast vierzig jährigen Erfahrung mit SuchtpatientInnen in allen Lebenslagen habe ich folgende Erfahrungen gemacht:
Solange es sich um eine akute Heroin oder Kokainsucht handelt, haben Cannabinoide nur eine unterstützende oder kompensatorische Wirkung. In etwa um die Opiatwirkung zu verstärken und zu verlängern, wenn z.B. die Versorgungslage mit der Droge schlecht ist, oder einem beginnenden Entzug kurzfristig entgegenzuwirken, oder nach reichlichen Kokainkonsum wieder eine beruhigende Wirkung oder die Schlafphase erreichen zu können. Im Hintergrund steht jedoch auch immer die Angst durch eine zu hohe THC Dosis in eine „halluzinatorische Krise“ zu gelangen.
Bei akuten Heroin und Kokainkonsumenten haben daher Cannabinoide keine übergeordnete Rolle.
In der Entzugsphase bei hochdosierten Opiatkonsumenten ist dies jedoch anders. Wie Sie aus der „Opiatkrisis“ der Vereinigte Staaten wissen, werden immer häufiger Cannabinoide zum Einsatz gebracht, um die Opiatdosen langsam reduzieren zu können und so die Patienten aus einer lebensbedrohlichen Situation bringen zu können. Dazu gibt es bereits zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen in canadischen oder amerikanischen Forschungszentren.
Der wichtigste Bereich ist jedoch in der Entzugsbehandlung jene Phase, wo die Opiate ganz abgesetzt werden sollen!
Die Patienten befinden sich hier in einer äußerst unsicher psychischen Situation – Ängste, Schmerzen, Schlaflosigkeit – und werden rasch rückfällig. In dieser Phase habe Cannabinoide, – richtig dosiert – eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Ich bezeichne sie mal lapidar als „Psychoschutzschild“. Aber es scheint wirklich so zu sein, dass eine gut dosierte Menge THC diese Patienten in einem seelischen Gleichgewicht hält.
Bei älteren PatientInnen, die jahrelang schwer Opiat abhängig waren und substituiert wurden, oder alkoholkranke Patienten die bereits mehrere Entzüge hinter sich hatten, stationär behandelt wurden, gibt es immer wieder Fälle, die mit einer gut eingestellten Dosis von DRONABINOL ganz einfach über die Runden kommen, nur mehr Cannabinoide anstelle von Psychopharmaka benötigen. Wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema kenne ich nicht, ich kann Ihnen diesbezüglich nur aus meinem Erfahrungsschatz berichten.“
„Österreich braucht eine vernünftige #cannabispolitk„, meint Dr. Kurt Blaas auf der #cultiva2015 pic.twitter.com/woDXQiafcd
— Pirate Underground (@PiUnderground) October 4, 2015
Wie kann man sich eine Cannabis Therapie vorstellen? Gibt es dazu irgendwelche Standards? Oder kann sowas nur individuell bestimmt werden?
„Die Behandlung mit Cannabinoiden sollte nur von KollegInnen durchgeführt werden, die eine positive Einstellung zu dieser Therapieform, sowie Erfahrung beim Einsatz von Cannabinoiden im allgemeinmedizinischen Bereich haben. Bei falscher Dosierung oder häufigen Therapie-Abbrüchen würde diese Form der Behandlung rasch großer Kritik anheim fallen und sich nicht durchsetzen.
Ich kann diesbezüglich auf die wissenschaftlichen Arbeiten von Philippe Lucas, Vice President, Global Patient Research & Access, hinweisen, der sich mit der Entzugsbehandlung von Opioid Patienten mit Cannabinoiden in Canada beschäftigt.“
Ersetzt man mit Cannabis (und Derivaten) nicht einfach eine Sucht mit einer anderen?
„Cannabinoide die man bei diesen PatientInnen einsetzt, werde in solch überschaubaren Dosen eingesetzt – ca. 20 – 40 mg Delta – 9 THC pro Tag -, dass man sicherlich von keiner körperlichen oder psychischen Abhängigkeit sprechen kann. Man kann eine solche Therapie innerhalb einer Woche ausschleichen, ohne körperliche Entzugserscheinungen auszulösen.
Natürlich würde es durch den Verlust des „psychischen Schutzfaktors“ zu seelischen Krisen führen, welche nur durch Antidepressiva und Benzodiazepinen kompensiert werden könnten. Dies wäre jedoch ganz gewiss kein Gewinn! Daher ist eine dauerhafte Substitution bei solchen Patienten ein großer therapeutischer Fortschritt.“
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Wo sehen Sie Möglichkeiten Cannabis und Folgeprodukte einzusetzen abgesehen von Suchterkrankungen?
„Ich verwende Cannabinoide, allen voran Delta -9 THC, also das Monocannabinoid DRONABINOL, bei verschiedenen chronischen Schmerzzuständen, psychischen Problemen wie Depressionen, bipolaren Störungen, Schlafstörungen und einer Reihe von anderen Erkrankungsbildern wie MS, Morbus Parkinson oder chronisch austherapierten Rheumaformen, sowie bei schlecht einstellbaren Epianfällen oder Morbus Crohn.
Nicht zu vergessen spezielle Autismus Formen oder Tumorerkrankungen, wobei hier während der Chemotherapiephase vor allem DRONABINOL eingesetzt wird. Die Behandlung von Tumorerkrankungen mit sehr, sehr hohen CBD Dosen sollte erwähnt werden, man muss allerdings dazu sagen, dass es dazu nur sehr wenig „klinische Evidenz“ gibt. Die positiven Krankengeschichten vieler PatientInnen sprechen dafür, dass es in diesem Bereich viel mehr Forschung geben sollte. Die oft verblüffenden Erfolge in der Tumorbehandlung, oder als Zusatzbehandlung der Chemotherapie sprechen auf jeden Fall dafür, diese Behandlungsform mit CBD und THC auf Wunsch der Patienten einzusetzen.“
Die meisten Studien sagen, dass es gerade bei CBD keine negativen Nebenwirkungen gibt. Können Sie das aus Ihrer Erfahrung so bestätigen?
„Ich halte CBD für eine durchaus gute medizinische Substanz, vorausgesetzt, dass man sie richtig einsetzt, auch entsprechende Dosen und Applikationsformen verwendet.
Es geht hier nicht nur um die Nebenwirkungsfreiheit, sondern auch um die essentielle Wirkung. Es gibt gewisse therapeutische Bereiche wie kindliche Epilepsieformen, Angst-Panikattacken- Syndrome, das Restlesslegs- Syndrom oder verschiedene Arten von Psychosen bei denen CBD ein gutes Therapeutikum darstellen kann. Wichtig ist hier immer die richtige Dosierung und damit verbunden die richtige Applikationsform des Medikamentes. (Forschung diesbezüglich wird u.a. von Jose A. Crippa an der Universität von Sao Paulo durchgeführt)
Ein großes Problem im Vertrieb dieser Substanzen besteht vielfach darin, dass ein großer Teil der frei verfügbaren CBD Produkte keiner ausreichenden pharmazeutischen Kontrolle unterliegt. Aus diesem Grund empfehle ich in meiner Praxis vorwiegend Produkte, die in den Apotheken zubereitet werden. Seit Dezember 2018 werden diese Medikamente nur mehr gegen Vorlage eines magistralen Rezeptes abgegeben, was natürlich die breite Verwendung nicht einfacher gestaltet.“
Eine letzte Frage bezüglicher der Herstellung von Cannabisprodukten in Österreich: Wie stehen Sie dazu, dass Österreich das Cannabis nicht selbst verarbeitet, sondern die Pflanzen nach Deutschland zu Weiterverarbeitung zu medizinischen Produkten schickt?
„Es gibt in Österreich schon seit über 10 Jahren die Möglichkeit Medizinisches Cannabis in der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GesmbH) anzubauen und dies nach Deutschland an die Firma BIONORICA zu verkaufen. Es handelt sich jedoch im letzten Jahr nur um eine Menge von 400 kg, die Jahre zuvor waren es überhaupt nur 250 kg getrocknete Cannabisblüten gewesen.
Es hatten sich in den letzten Jahren schon einige österreichische Firmen beworben, ebensolche Aufgaben zu übernehmen. Die Anträge dafür wurden jedoch vom Verfassungsgerichtshof abgewiesen. Das Monopol der AGES bleibt daher weiter bestehen. Ich bin absolut davon überzeugt dass es sowohl aus medizinischen, sowie aus wirtschaftlichen Gründen wichtig wäre, zum Einen die Produktion von Hanfblüten wesentlich zu erhöhen und zum Anderen der österreichischen pharmazeutischen Industrie die Möglichkeit zu geben, unterschiedliche Produkte daraus herzustellen. Nicht nur die Herstellung von „natürlichem DRONABINOL“ sondern auch die Produktion von „Hanfblüten Extrakten“ wäre ein großer Schritt für die heimische Cannabinoidtherapie und könnte darüberhinaus ein gutes Geschäft für die österreichische pharmazeutische Industrie darstellen.“
Credits: Dr. Kurt Blaas
https://www.ordinationblaas.at
Titelbild Credits: Shutterstock
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