Krimi, Porno, Sci-Fi und mehr: Lüste und Leichen von Svend Åge Madsen

Lüste und Leichen von Svend Åge Madsen kann wohl als literarische Wiederentdeckung bezeichnet werden. Sein schon 1969 veröffentlichtes Werk ist eine theaterhaft und absurd-genüsslich aufbereitete Genremischung, die fernab der klassischen Erzählmethoden, die narrativen und literarischen Grenzen gekonnt zu überschreiten vermag.
Wer ist Svend Åge Madsens
Der dänische Schriftsteller Svend Åge Madsen wurde 1939 in Aarhus geboren und debütierte schon 1963 mit seinem Roman Besøget (Der Besuch). Als wahrlich versierter Schriftsteller war und ist Madsen immer noch vielseitig tätig, schreibt Krimis und Science-Fiction, Novellen, Essays, Hörspiele, Schauspiele, Kinder- und Jugendliteratur. Von 1983 bis 1986 arbeitete er am Aarhus Teater – warum das erwähnenswert ist, wird später klar.
Madsens Werk kann in drei Phasen unterteilt werden, die von der Moderne über die Postmoderne bis hin zum Magischen Realismus reichen. Zu seinem wohl bekanntesten Werken zählt der Roman Syv aldres galskab (Sieben Generationen Wahnsinn). Dieser schildert das Leben von sieben Generationen in Aarhus und ist eine Mischung aus Historien- und Science-Fiction-Roman.
Lüste und Leichen
Im deutschsprachigen Raum ist Svend Åge Madsen leider eher unbekannt. Was wirklich verwundert. Mit Lüste und Leichen hat der Märzverlag ein, von Madsen schon 1968 veröffentlichtes Werkes, wiederaufleben lassen und so etwas wie Weitsicht bewiesen, wenn man das so nennen will. Aber dazu später mehr.
Auf den ersten Blick weiß mensch gar nicht so recht, was er oder sie mit dieser Geschichte anfangen soll. In Lüste und Leichen ist alles so… skurril. Und wie oft verwendet man das Wort skurril, ohne dass es wirklich passend ist. Lüste und Leichen ist jedoch ein Werk, auf das dieses Wort zutrifft wie nur selten.
Svend Åge Madsen: theaterhaft kriminell und futuristisch sexuell
Beginnen wir bei der Örtlichkeit: es gibt mehr als eine Sonne. Das ist einmal interessant. Doch anstatt näher auf die Landschaftsverhältnisse einzugehen, war es das einmal. Mehr erfährt man über diese Welt einfach nicht. Dann gibt es da noch eine Bank, unter der eine Leiche hervorgeholt wird.
Doch anstatt den Fund zu melden, entschließt man sich dafür, die Leiche einfach woanders unterzubringen. Triftige Gründe dafür werden nicht wirklich geliefert. Neben der Bank gibt es noch seltsam leere Häuser und außer den paar Figuren, die auftauchen, scheint es auch sonst keine Lebewesen zu geben.
Die Rahmenbedingungen, in welche die Lesenden geworfen werden, sind geradezu theaterhaft. Es gibt Figuren, eine Bank, mehr als eine Sonne und Räume in denen unterschiedliche Figurenkonstellationen ihre Handlungen vollziehen.
Und die Geschichte: beginnt mit einem Mord. Es gibt auch jemanden, der ermittelt und die Wahrheit zu finden hofft. Wahrheit? Der kriminalromanhafte Handlungsstrang, der eine klassische Geschichte entfalten könnte, ist gelegt. Doch diese Spur verebbt plötzlich. In sehr viel Sex.
Doch ist dieser Sex weder vulgär noch plump, sondern wird literarisch geradezu außergewöhnlich beschrieben. Im Gegensatz zu den literarisch-koitalen Ausschweifungen eines Michel Houellebecq, möchte man meinen. Man nimmt vielmehr am Innenleben der Menschen teil, als dass man ins voyeuristische Betrachten kommt. Und dann plötzlich wird es wieder Science-Fiction -haft.
Lüste und Leichen
Svend Åge Madsen erzählt in Lüste und Leichen eine Geschichte, die verschiedene Stilebenen miteinander vermischt. Die Geschichte beginnt als Kriminalroman und entwickelt sich weiter zum Liebesroman, dann zum Pornoroman und schließlich zum Science-Fiction-Roman. Eine genaue Richtung gibt es nicht, das eine Genre geht vielmehr schleichend ins andere über.
Madsens Schreibstil ist durchgehend trivial, und sogar die Adjektive in den Sätzen werden umgekehrt, was zu einer gewissen Verwirrung beim Lesen führen kann. Dennoch ist das Gefühl, dass Madsens Sprache in einem auslöst, geradezu virtuos gespenstisch, lässt sich aber auch nicht genau festlegen, denn von knapp formulierten Dialogen, wechselt er plötzlich in Thomas Bernhard-hafte Passagen, die kein Ende nehmen wollen und dennoch so vorzüglich zu unterhalten wissen.
Svend Åge Madsen und die Postmoderne
Was wir in Lüste und Leichen lesen dürfen, ist eine wahrlich postmoderne Geschichte, die es wirklich schafft, den Rahmen zu sprengen. Unter den Autoren und Autorinnen der jüngeren Generation gibt es schnell mal jemand, von dem genau das behauptet wird: postmodern zu sein.
Madsen ist in diesem Pool zur Abwechslung einmal ein Autor, der dies wirklich ist, postmodern. Bei dem die Postmoderne in die Tiefe geht und wo nicht in einem Versuch der Selbsterklärung (der immer scheitert) erklärt werden muss, dass der Text postmodern ist. Er ist es einfach so. Und das ist Madsens ganze Kunst, etwas zu zeigen, ohne Hinweisschild.
Auf knappen 160 Seiten gelingt dem dänischen Ausnahmeautor etwas, wofür viele Autor*innen 1000 Seiten brauchen und dennoch nicht so zu überzeugen wissen wie dieser postmoderne Veteran. Die Frage lautet: muss man wirklich, um die Zukunft postmodernen Erzählens genießen zu können, in die Vergangenheit schweifen? Sieht ganz so aus. Und die Antwort lautet: Svend Åge Madsen.
Titelbild © Shutterstock
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