Was der mediale Shitstorm um Fußballstar Martin Hinteregger für die Gesellschaft bedeutet
Aus Dankbarkeit wollte der österreichische Fußballstar Martin Hinteregger – der in Diensten des deutschen Klubs Eintracht Frankfurt steht – in seinem Heimatdorf ein Fußballturnier veranstalten. Als sich herausstellte, dass ein Geschäftspartner von ihm ehemaliger FPÖ-Gemeinderat ist und auch die rechtsextreme Identitäre Bewegung unterstützt haben soll, führte dies zu einem Shitstorm. Was das alle für uns bedeuten könnte.
Der Hinti-Cup: die Hintergrundstory
Auch wenn er es in seiner Karriere in Deutschland nicht immer leicht hatte, so konnte sich der österreichische Abwehrspieler Martin Hinteregger schlussendlich in das Herz der Fans des Fußballvereins Eintracht Frankfurt spielen. Gekrönt wurde das Ganze mit dem diesjährigen Gewinn der UEFA Europa League. Aus Dankbarkeit für den Erfolg, aber vor allem für die Unterstützung der Fans, hat sich der aus dem Kärntner Dorf Sirnitz stammende Martin Hinteregger dazu entschlossen, ein Fußballkleinfeldturnier zu veranstalten. Den sogenannten Hinti-Cup („Hinti“ als Abkürzung für Hinteregger, Anm. d. Red.).
Der in Frankfurt extrem beliebte Hinteregger wollte mit diesem Event seine beiden Heimatorte Sirnitz und Frankfurt verbinden. Auch Mannschaften aus Hessen wollten und sollten zum Turnier anreisen. Von der Idee waren eigentlich rundum alle begeistert. Vor knapp einer Woche wurde jedoch bekannt, dass Heinrich Sickl die musikalische Gestaltung (u.a. DJ Ötzi) des Events mitorganisieren sollte. Er hätte dafür auch seine Schlosswiese (Wiese vor dem Schloss Albeck) zur Verfügung gestellt.
Heinrich Sickl – who the f**k?
Bei diesem Heinrich Sickl handelt es sich jedoch um einen ehemaligen FPÖ-Gemeinderat, der auch die rechtsextreme Identitäre Bewegung unterstützt hat. Hinteregger wusste von alledem nichts. Trotzdem: Was folgte, war ein medialer Shitstorm solchen Ausmaßes, dass man sogar meinen könnte, die Welt hätte mit dem Krieg in der Ukraine, der überdimensionalen Inflationsrate und anderen Themen nicht weit größere Probleme. Aber egal.
Das Ergebnis auf diesen Shitstorm war, dass Hinteregger die Beziehungen zu Sickl sofort abgebrochen hat und das geplante Konzert abgesagt wurde. Auf den Ausfallhonoraren bleibt der Frankfurter Publikumsliebling jedoch sitzen. Das Turnier fand letztes Wochenende dennoch statt, obwohl viele Mannschaften ihre Teilnahme aufgrund des Sickl-Zwischenfalls abgesagt hatten.
It never stops
Jetzt hätte man es da natürlich gut sein lassen können. (Eigentlich schon vorher, aber egal!) Doch nein! Weiterhin muss sich Hinteregger erklären, rechtfertigen und verteidigen. Auf die Frage, ob er denn wirklich nicht gewusst hätte, um wen es sich bei Sickl handelt, antwortete er dem Standard: „Natürlich nicht. Ein paar Sirnitzer in seinem Alter wussten es wohl. Eine Vorwarnung wäre gut gewesen, dann hätte ich wahrscheinlich von Anfang an anders reagiert, um das Feuer rauszunehmen. Dass es so groß wird, hätte ich mir nie gedacht.“
Darüber hinaus ist es gut zu wissen, dass Sickl Sirnitz vor rund 30 Jahren verlassen hat und erst vor ein paar Monaten zurückgekehrt ist. Vor 30 Jahren war der 29-jährige Hinteregger noch nicht einmal auf der Welt. Klar, zu googeln wäre da nicht verkehrt gewesen. Doch vielleicht hat die dörfliche Beschaulichkeit da über die tiefen Abgründe hinweggetäuscht.
Die Naivität des Martin Hinteregger
Die Frage ist jetzt natürlich, inwiefern man Martin Hinteregger hier eine Naivität unterstellen kann. Und dann noch eine andere Frage, die bei dem ganzen viel entscheidender ist. Aber zurück zu Hinteregger: Dass er seinen potenziellen Geschäftspartner nicht genauer überprüft hat, kann man ihm vorhalten, ja. Dennoch sollte man sich auch, was das betrifft, nicht zu sehr hineinsteigern. Denn wer die Welt so genau nehmen will, der darf im Grunde genommen gar nichts mehr. Vermutlich nicht einmal mehr Fußball sehen, denn immer öfter gibt es Kritik an den überfüllten Spielplänen der Spieler, welche natürlich die Verletzungsgefahr erhöhen.
Ein weiterer Punkt ist dieser: Wenn man politisch alle cancelt, die anderer Meinung sind, als man selbst, dann kommen wir als Menschen in dieser Welt einfach nicht mehr zusammen. Dabei ist es gerade der Zusammenhalt und die gemeinsame Kooperation aller, die uns Menschen auf lange Sicht hilft und das Überleben sichert. Klar ist die FPÖ moralisch, menschlich, ethisch eine einzige Katastrophe und die Identitären legen die Latte, was das betrifft, noch um einiges höher. Sollen wir mit allen Menschen, die dieses (verabscheuungswürdige) Gedankengut teilen, aufhören zu kooperieren und etwas zu tun zu haben?
Von rechten zu linken Identitären
Sehen wir uns das Ganze etwas genauer an: Sirnitz ist ein kleines Dorf in Kärnten mit 294 Bewohner:innen. Es zählt zu der Gemeinde Albeck (1006 Einwohner:innen). Die 11 Sitze des Gemeinderats verteilen sich auf 5 für die FPÖ, 4 für die ÖVP und 2 für die SPÖ. Anhand dieser Zahlen kann man bei Sirnitz bzw. Albeck wohl getrost von einem rechten Nest sprechen. Was bedeutet das? Hätte der Hinti-Cup dann überhaupt stattfinden dürfen, auf diesem Boden? Wo fangen wir an und wo hören wir auf?
Hat die Linke sich über die Jahre den (exkludierenden) Gestus der Rechten angeeignet und treibt diesen in den Wahnsinn? Anstatt das Gemeinsame zu sehen und vor allem mit dem Fokus auf das Inkludierende voranzugehen und so etwas wie eine Vorbildwirkung zu zeigen, die Hand auszustrecken, fängt die Gesellschaft immer weiter an sich zu spalten.
Wie der politische Theoretiker Ernesto Laclau und die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe schon bemerkt haben, driften das Universelle und das Partikuläre immer weiter auseinander. Das bedeutet, dass es immer weniger universelle Bereiche gibt, die von allen betreten werden können, da sich das Partikuläre (subjektive und vor allem gruppenspezifische Einstellungen) dermaßen verhärtet haben, dass kein common ground für ein gemeinsames Leben mehr zu finden ist.
common ground und common sense
Wäre die Schlosswiese in Albeck dieser common ground gewesen? Und hätte ein Konzert nicht alle Menschen miteinander verbunden? Stattdessen hat es zu diesem Gemeinsamen nicht kommen können. Und wird es auch immer weniger kommen, da jede gesellschaftliche Ideologie sich in ihrer eigenen Höhle verschanzt. Anstatt zu versuchen den Karren gemeinsam aus der Scheiße zu ziehen, zieht jede:r nur in seine Richtung.
In Hinblick auf den Klimawandel und andere Katastrophen, wird es jedoch nicht anderes gehen, als zusammen. Die Probleme lassen sich nur auf der universellen Ebene lösen und nicht in den voneinander getrennten partikulären Sphären des einander Ausschließenden.
Titelbild © Shutterstock
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