Glücklichsein um jeden Preis: ARTE-Doku über die Entwicklung der Glücksökonomie

Glücklich werden ist wohl das Ziel eines jeden Mensch und so etwas wie das Motto unserer Zeit. Werde glücklich! Aber wie? Dass aus diesem Appell ein Markt geworden ist, scheint naheliegend. Glücksökonomie, posttraumatisches Wachstum, das alles sind Phänomene, die eine Entwicklung unserer Gesellschaft nachzeichnen. Nun hat ARTE über genau dieses Thema einen sehenswerten Dokumentarfilm gedreht. Tiefe Einblicke in ein umkämpftes, auch sehr kritisch zu betrachtendes Thema: Die Suche nach dem Glück.
Will Smith oder der Watschenkönig der Glückseligkeit
Das Glück. Wenn man sich durch die Filmografie von Will Smith arbeitet und auf den Film Das Streben nach Glück (The Pursuit of Happyness) trifft, lässt der Titel so einige Interpretationen offen. Das Streben nach Glück in einem intrinsischen Sinne. Bedeutet: Ein Mensch sucht sein persönliches Glück, will glücklich werden. Oder, wenn man von einem US-amerikanischen Hintergrund geprägt ist, denkt man natürlich sofort an die Phrase aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung: „Life, Liberty and the pursuit of Happiness„.
Doch was bedeutet dieses Glück genau? Laut dem Film hat dieses Glück hauptsächlich etwas damit zu tun, erfolgreich zu sein – in der Form eines Unternehmens, das eben viel Geld erwirtschaftet. Und das ist dann das Glück. Erfolgreich sein. Nicht abstrakt gedacht in Form einer inneren Glückseligkeit, sondern etwas, dass mit Zahlen auf dem Bankkonto messbar ist. Das ist Glück und Erfolg, made in the USA.
Die Glücksökonomie – Das Glück als Markt
Dass einem viele Menschen dabei helfen wollen, glücklich zu werden – natürlich nicht gratis! – ist naheliegend. Vor allem, wenn das persönliche Glück, so etwas wie der heilige Gral der Postmoderne ist. Weltweit gibt es über 70.000 offiziell erfasste Motivationstrainer*innen. Sie bedienen einen Markt, der auf 3 Milliarden Euro jährlich geschätzt wird. Glück wird so zu einer Glücksökonomie.
Dabei versucht sich jede*r Trainer*in mit originellen Techniken von der Konkurrenz abzuheben. Glücklich werden ist ein Trend. Während früher noch Bücher über Politik die Regale in den Buchhandlungen (über-)bevölkerten, dominiert mittlerweile der Ratgebermarkt die Bestsellerlisten. Psychologische Ratgeber, oft auch über das Thema Narzissmus. Die Gesellschaft hat sich psychologisiert. In den USA alleine gibt es über 80.000 verfügbare Titel über die Themen Glück, Selbsthilfe und Motivation.
Positive Psychologie der Anfang des Glücks und der Glücksökonomie
Die ARTE-Doku Glücklichsein um jeden Preis bietet diesbezüglich einen interessanten Einblick in die Entwicklung unseres Verständnisses von Glück. Ausgehend von der Positiven Psychologie (eine durchaus recht umstrittene Strömung) entfaltet sich eine gesellschaftliche Entwicklung, die uns nachhaltig geprägt hat und immer noch auf uns wirkt.
Hierbei geht es um die Abkehr der klassischen Hinwendung der Psychologie zum Negativen. Angeführt von Sigmund Freud, der sich hauptsächlich für die Abgründe des Menschlichen interessierte. Demzufolge – so eben die Kritik der Vertreter*innen der Positiven Psychologie – könnte man vom Leben bestenfalls erwarten, nicht unglücklich zu sein. Was einen laut dem Begründer der Positiven Psychologie, Martin Seligman „leer macht“, wie er in der ARTE-Doku versichert. Die Positive Psychologie sollte sich gerade davon abgrenzend und auf das Positive im Menschen konzentrieren.
Glücksökonomie – The Positive way of life
Mit diesem Ansatz sollte das nicht gerade optimistisch geprägte Menschenbild von Sigmund Freud überarbeitet werden. Herumzustochern, wo es weh tut, so die Kritik an Freud und Co, bestärke die Menschen nur in ihren negativen Sichtweisen. Will man ihnen wirklich helfen, sollte man sich jedoch auf das konzentrieren, was gut läuft, so die Positive Psychologie.
Was sich zugegeben, als extrem interessanter Denkansatz präsentiert – denn die uns vertraute Psychologie fokussiert sich wirklich sehr, sehr stark auf negative Aspekte unserer Persönlichkeit – wurde leider recht schnell vom marktwirtschaftlichen Denken ausgehöhlt. Es geht, so der Vorwurf der Kritiker*innen, der Positiven Psychologie nicht wirklich um das Glück des Einzelnen, sondern eher darum, die Menschen zu optimieren.
An den neoliberalen Umständen wird so nichts geändert, die Menschen sollen einfach nur resilienter gegen die widrigen Umstände gemacht werden. Dass vor allem das US-Militär auf die Positive Psychologie zurückgreift, um ihre Soldat*innen resilienter (sprich: widerstandsfähiger zu machen) sollte daher durchaus zu bedenken geben. Die Positive Psychologie kritisch in Augenschein nehmen Edgar Cabanas und Eva Illouz in ihrem lesenswerten Buch Das Glücksdiktat und wie es unser Leben beherrscht.
In der eigenen Hand – Das Glück als eigene Verantwortung
Optimismus kann man lernen, so das Fazit der Positiven Psychologie. Dies ist gleichbedeutend mit der sogenannten Handlungsfähigkeit. Ein Ansatz, der bis in Wirtschaft und Politik hineinreicht. Bedeutet heruntergebrochen: Wenn 2/3 der Menschen resignieren und an den Umständen zerbrechen, 1/3 der Menschen jedoch nicht, dann kann man den Unterschied dieser Veranlagung herausfinden und den resignierenden Menschen das Wissen und die Fähigkeiten der nicht resignierenden Menschen beibringen. Tada!
Hört sich auf den ersten Blick irgendwie logisch an. Hat aber sehr viele Schwachstellen. Auf die USA umgelegt: Wenn es auch nur ein einziger Mensch aus armen Verhältnissen schafft, reich zu werden (Vergleich: Will Smith-Film oben!), dann verfügt dieser Mensch über Fähigkeiten, die andere lernen können, um auch reich zu werden. Ergebnis: Reichwerden kann man lernen und wer es nicht lernt und nicht reich wird, ist eben selber schuld.
Denn egal wie schlimm die Umstände, der eine Mensch hat es doch auch geschafft und allen anderen gezeigt, dass es möglich ist. Also, so der Gedankengang, müssen es alle anderen auch schaffen können. Dasselbe Prinzip gilt dann auch bezüglich Glück. Ergebnis: die Glücksökonomie.
Trügerische Eigenverantwortung auf dem Weg zum Glück
Das Problem dabei: Wenn jede*r ausschließlich selbst für ihr und sein Glück verantwortlich ist, dann sind unglückliche (heißt auch nicht erfolgreiche) Menschen zu 100 Prozent selbst dafür verantwortlich, wenn sie eben unglücklich (und nicht erfolgreich) sind. Diese Ideologie speist sich aus dem Mythos, dass es jede*r schaffen kann. Wer es jedoch nicht schafft, ist eben einfach nur ein selbstverschuldeter Loser, der sich nicht zusammenreißen will – denn er oder sie könnte es ja.
Klar sollte jedoch sein, dass eben nicht jede*r Millionär*in werden kann. Denn die Möglichkeiten sind begrenzt. Auch wenn viele erfolgreiche Menschen – vor allem die sogenannten Nepotismus Babys – ihre from rags to riches-Story geradezu zelebrieren, zeigt sich im Hintergrund oft ein ganz anderes Bild.
Denn nicht diese Menschen selbst, und schon gar nicht ausschließlich aus eigener Kraft, haben es geschafft. Oft wirken im Hintergrund ihres Erfolgs nämlich monetäre Kräfte, die man im deutschsprachigen Raum wohl in-der-richtigen-Familie-geboren nennt. Fatal ist hier der Grundgedanke der Eigenverantwortung – wer arm ist, hat das selbst so entschieden, weil er oder sie einfach zu negativ ist.
Dieses postmoderne Streben nach Glück wird von der ARTE-Doku Glück um jeden Preis, als das depressive Syndrom einer Gesellschaft entlarvt, die sich einem zwanghaften Optimismus unterworfen hat. Wer sich diesbezüglich nicht optimieren kann, bleibt auf der Strecke und ist selber schuld. Wie auch immer die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen Umstände auch immer sein mögen. Man selbst ist zu 100 Prozent verantwortlich für seine Situation – gesellschaftliche und ökonomische Rahmenbedingungen werden da natürlich, wie schon erwähnt, außen vor gelassen.
Die Glücksökonomie – ein Fazit
Die ARTE-Dokumentation Glück um jeden Preis gewährt einen tiefen Einblick in eine globalisierte Form der Glücksbetrachtung. Das US-amerikanische Glückskonzept (in Form der Positiven Psychologie) schwappt auf die Welt über. Das europäisch-kritische Denken ist so immer mehr im Schwinden begriffen und weicht einer hohlen Hinwendung zu einer konstant gelebten Happyness und einem radikalen good-vibes-only Denken, in dem jeder, der eben anders denkt, ausgeschlossen wird.
Klar war Sigmund Freud ein frustrierter Wiener, der alles eher negativ gesehen hat. (Wenn man seine Ansätze so banal herunterbrechen will). Den Fokus aufs Positive im Leben zu legen, ist durchaus zu begrüßen. Doch die versteckten neoliberalen Dynamiken, die hinter der Positiven Psychologie greifen, sind mit Vorsicht zu genießen. Auch die radikale Eigenverantwortung untergräbt gesellschaftliche und ökonomische Verhältnisse, gegen die man nichts ausrichten kann, egal, wie glücklich man auch immer sein will.
Staat, Arbeitsmarkt und Positive Psychologie fusionieren – wie die ARTE-Doku zeigt – zu einer Kooperation, die den Staat immer mehr aus der Pflicht nimmt, der Positiven Psychologie das Steuergeld in die Kassen spült und den Menschen noch mehr Verantwortung aufbürdet. Mehr, als diese ohnehin schon nicht mehr schultern können. Keiner fragt mehr nach Zufriedenheit oder Gelassenheit, aber alle suchen sie das ewige Glück.
Und um diesem etwas näherzukommen, vertrauen sie immer mehr auf die Glücksökonomie und werfen windigen Mentaltrainer*innen ihr Geld in den Rachen. Weil sie nämlich immer mehr daran glauben, dass es ihre eigene Schuld ist, wenn sie unglücklich sind, und nicht die des Systems, in dem eben nicht jeder glücklich werden kann, weil das Glück und der Komfort des einen oft auf der Ausbeutung des anderen beruht. Dass dieses ökonomische Glück auch noch egoistisch macht, darauf sind wir in einem anderen Artikel schon eingegangen.
Titelbild © Shutterstock
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