Freundschaft ist eines der wichtigsten Dinge im Leben der Menschen. So wird es zumindest behauptet. Dass Freundschaft in den heutigen Zeiten leider immer weniger Relevanz in der Alltagsgestaltung genießt, ist dabei leider eine Tatsache, über die wir unbedingt sprechen müssen. Und genau darüber hat Sebastian Schoepp ein lesenswertes Buch geschrieben: Rettet die Freundschaft!
Der hohe Stellenwert der Freundschaft
Phrasen wie Brother from another Mother oder Sister from another Mister findet man zuhauf. Sie werden (inflationär) verwendet, um einen sehr guten Freund oder eine sehr gute Freundin zu beschreiben, der oder die einem so nahesteht, dass sie Bruder oder Schwester sein könnte. Eine Wahlverwandtschaft sozusagen.
Freundschaft hatte immer schon einen hohen Stellenwert. Laut einer Erhebung aus dem Jahre 2020 haben für 85,4 Prozent der Deutschen gute Freund*innen und die Beziehungen zu anderen Menschen einen hohen Stellenwert. Diese Freundschaften sind für diese sogar noch wichtiger als die Familie – so wird zumindest behauptet.
In der Psychologie gilt Freundschaft sogar als Bollwerk gegen Tiefs und Depressionen. Viele finden darin einen Lebenssinn und fühlen sich lebendig. Die Wahlfamilie: emotionale Absicherung zur biologischen Familie, die man sich ja bekanntlich nicht aussuchen kann.
Freundschaft in der Krise
Freundschaft: das Nonplusultra eines glücklichen Lebens? Auch wenn die Mehrheit das behauptet, sieht es hinter diesen kulissenhaften Aussagen der Bromances und Co. alles andere als rosig aus. Denn bei genauerem Nachfragen wird dieses Konstrukt unserer ach so lebenswichtigen Freundschaften ziemlich schnell brüchig und es zeigt sich relativ rasch, dass es mit der Freundschaft im Grunde nicht weit her ist.
Denn obwohl viele meinen, Freundschaft sei das Wichtigste, haben die meisten in Wirklichkeit leider keine Freunde, mit denen sie über alles reden könnten, stellt Sebastian Schoepp in seinem Buch Rettet die Freundschaft ernüchternd fest. Und schon gar nicht haben die meisten von uns „Freundschaften nach antikem Ideal, die den ganzen Menschen einschlossen, und die sich nicht auf Fußballgucken, Kaffeetrinken oder Computerspielen beschränkten.“
Freundschaft als Opfer von Narzissmus, Zwängen und Co
Wahre Freundschaft, ein unerreichtes Ideal? Je jünger die Menschen sind, desto krisenhafter scheint die Lage. Bei einer You-Gov-Umfrage in den USA gaben im Jahr 2019 22 Prozent der Befragten (zwischen 23 und 38 Jahren) an, sie hätten „überhaupt keine Freunde“, zitiert Schoepp. 30 Prozent meinten sogar, sie fühlten sich einsam, trotz ununterbrochener Kommunikation auf Tablet, Handy und Co. Sodass man sich fragen muss: Sind uns vor lauter digitaler Kontakte die wahren Freundschaften abhandengekommen?
Die moderne Welt, in der alles fest getaktet ist, bleibt keine Zeit mehr, und neben der Karriere, der eigenen Verwirklichung und Optimierung, auch noch der Freundschaftspflege ausreichend Zeit zu widmen. Der allgemein um sich greifende Narzissmus tut hier sein Übriges.
Der Alltag hat die Freundschaft entheiligt, meint zum Beispiel Erika Alleweldt. Diese sei nicht mehr eingebettet in größere Lebenszusammenhänge, sondern beschränkt sich auf kleine Schnittmengen. Aufgrund des stressigen Alltags bleibt keine Zeit mehr, Freundschaften wirklich zu pflegen. Daher verkommen diese zu einem weiteren lästigen Termin im Kalender.
Romantische Liebe läuft Freundschaft den Rang ab
Auch der Systemtheoretiker Niklas Luhmann, auf den Schoepp verweist, stellte schon vor Jahrzehnten fest, dass der moderne, individualisierte Mensch aufgrund der Anforderungen des Alltags überhaupt nicht mehr fähig sei, Freundschaften wirklich zu führen. Im Wettstreit der Beziehungsformen hat die Liebe das Rennen gemacht und den „Code für Intimität bestimmt“.
Bedeutet: Die Menschen streben nach dem vermeintlich romantischen Ideal und opfern dadurch ihre Freundschaften. Auch angesichts der großen Entscheidungen des Lebens, welche vermeintlich im Job und in der Familie gefällt werden, lässt die Freundschaft an Relevanz einbüßen. Der Mensch schottet sich ab in seine Beziehungs- und Berufsarrangements und lässt die Freund*innen außen vor.
Konsequenter Egoismus und erbarmungslose Empfindlichkeit
In einer optimierten Gesellschaft, in der alles einem ökonomischen Prinzip unterworfen ist, wird der Mensch immer mehr zum Egoisten, zu einem reinen Privatmensch, ohne soziale Einbindung und ohne Vertrauen. Diese Privatmenschen haben zu viel zu verbergen, um noch echte, die Seele öffnende Freundschaften unterhalten zu können, wie der Soziologe Georg Simmel im 19. Jahrhundert schon feststellen musste.
Mittlerweile zerbrechen Beziehungen schon an den kleinsten Meinungsverschiedenheiten in Sachen Politik, Leben und Liebe. Vor allem Corona hat das noch einmal verdeutlicht. Und Schoepp weiß: Wo eine Sache über dem Menschen steht, da wird Freundschaft unmöglich. Und wie es aussieht, stehen eine Menge Sachen über den Menschen.
Deals and friendships – an ökonomische Trends angepasst
Wir kommunizieren mit Avataren anstatt mit lebendigen Wesen, bestellen Online anstatt mit einem Verkaufenden eine Interaktion zu haben. Ein weiteres Problem ist, dass mittlerweile auch die Erwartungen an die Freundschaft den ökonomischen Trends der Zeit angepasst wurden, sodass Freundschaften im Grunde als ein Geschäft auf Gegenleistung angesehen werden.
Viele erwarten von ihren Freund*innen eine vorbehaltlose Unterstützung. Gemeint ist damit nicht ein wahrhafter und ehrlicher Austausch, sondern im Grunde eine plumpe und unreflektierte Anhängerschaft. Der Freund oder die Freundin hat unseren Lifestyle kritiklos abzunicken und hat (be)ständig unserer Meinung zu sein. Alles andere scheint eine unverzeihliche Beleidigung für das Ego. Und wenn man zwischenmenschliche Interaktionen als Deals betrachtet, ist jeder natürlich darauf bedacht, nicht mehr da hinein zu investieren, als er auch bekommt.
Make Friends, not war!#Krieg #Frieden #Freunde #Schoepp @schoeppcito pic.twitter.com/1vJvJxLzRv
— Westend Verlag (@WestendVerlag) June 7, 2022
Ein Buch, wie ein guter Freund
Ein Ansatz, der auf zutiefst menschliche Begebenheiten einfach nicht so radikal angewendet werden sollte. In der Freundschaft geht es laut der Soziologin Alleweldt darum, sich einander in der jeweiligen Entwicklung zu steigern und durch die Freundschaft etwas Neues in sich und dem anderen entstehen zu lassen. Nach einem Gespräch mit einem Freund oder einer Freundin will ich nicht mehr derselbe Mensch sein, wie davor. Wer kann das noch von seinen Freundschaften behaupten?
Die Stärke an Schoepps Buch liegt vor allem in seiner Leichtfüßigkeit. Trotz seiner Zitierfreude und dem akademischen Ansatz des Buches Rettet die Freundschaft spricht der Autor doch zu uns, nicht als Belehrender, sondern als Freund. Er lässt persönliche Erfahrungen einfließen und verdeutlicht uns, dass er nicht nur wissenschaftlich, sondern vor allem auch persönlich weiß, wovon er spricht. Ein Buch, das man unbedingt gelesen haben sollte, wenn einem etwas am Phänomen Freundschaft liegen sollte.
Titelbild © Shutterstock
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