Etwa ein Prozent der Bevölkerung hat eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Narzissten folgen in ihren Beziehungen immer einem bestimmten Schema. Doch was genau macht sie so gefährlich für ihre Mitmenschen?
Die Anfangsphase: Lovebombing und Isolation
Die Beziehung zum Narzissten entwickelt sich nicht einfach, du wirst ausgesucht und getestet. Es wird genaustens geprüft ob du als „Supply“ – narzisstische Versorgungsquelle – geeignet bist. Wenn du die Tests bestehst: Herzlichen Glückwünsch und willkommen in der Hölle auf Erden. Es wird eine Weile dauern bis dir die lodernden Flammen auffallen, denn alles was du anfangs spürst ist Wärme.
Was du nicht weißt: Du wirst gerade gelovebombt. Lovebombing ist eine Methode des Narzissten, die dein Hirn benebelt und deine Urteilsfähigkeit zunichte macht. Diese Methode der Werbung ähnelt sehr dem, was Sekten mit neuen Mitgliedern machen. Der Neuankömmling wird mit Aufmerksamkeit und Freundlichkeit überschüttet, damit er der Sekte beitritt. Dann werden die Bedingungen gestellt: Du musst dich anpassen oder die Gemeinschaft verlassen. Narzisstisches Lovebombing tritt in verschiedenen Formen auf: guter Sex, Komplimente, Zuneigung, verständnisvolles Verhalten. Der Narzisst scheut keinen Mühe um sein Ziel zu erreichen: Dich abhänging zu machen.
In der Phase des Lovebombings tendieren Narzissten dazu, ihre Opfer zu spiegeln. Die Person, in die du dich verliebt hast, existiert eigentlich garnicht. Sie ist ein gut durchdachtes und maßgefertigtes Konstrukt. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Anfangsphase ist Isolation. Narzissten versuchen ihre Opfer so gut wie möglich von anderen Menschen zu isolieren. Je weiter du dich von deiner Familie und deinen Freunden entfernst, desto mehr Kontrolle und Macht hat der Narzisst. Wie Wölfe, die beim Jagen die Beute von der Herde trennen.
Die Abwertung
Sobald der Narzisst spürt, dass das „lovebombing“ effizient war und er deine Abhängigkeit geprüft hat, hast du Level zwei des Spiels erreicht: die Abwertung. Diese Phase ist – kurz gesagt – grausam. Sie kann zum Beispiel durch ein Silent Treatment – passiv aggressiver Missbrauch in Form von Schweigen und Leugnen der Existenz des Opfers – eingeleitet werden. Eine weitere Form von seelischem Missbrauch, welche häufig von Narzissten angewandt wird, ist das Gaslighting.
Es handelt sich hier um systematischen Missbrauch, bei dem das Opfer so stark manipuliert wird, dass es an seiner eigenen Wahrnehmung zweifelt und das Gefühl hat, seinen Verstand zu verlieren. Da Narzissten keine Empathie empfinden, haben sie absolut kein Problem damit, dass du wegen ihnen leidest. Ganz im Gegenteil sie brauchen dein Leid und deinen Schmerz, um ihren Selbstwert zu regulieren.
Deshalb verabscheuen Narzissten Langeweile. Wenn niemand da ist, um sie zu bewundern oder den sie quälen können, um ihren Sadismus zu befriedigen, spüren sie Leere. In dieser Leere könnten allerlei unangenehme Sachen hochkommen wie Minderwertigkeitsgefühle, die der Narzisst krampfhaft verdrängt.
Keine Liebe, sondern Trauma
Die Phasen des Lovebombing und der Abwertung wechseln sich ab – was dazu führt, dass eine Art „Traumabindung“ beim Opfer entsteht. Diese „Beziehungsstruktur“ kann man als eine Art Stockholmsyndrom bezeichnen. Die Gewaltakte – sowohl die physischen als auch psychischen – schaffen eine zerstörerische Art von Intimität. Das Opfer schafft es nicht, sich vom Täter abzugrenzen und das große Ganze zu sehen. Die betroffene Person ist so isoliert und eingenommen vom Narzissten, dass sie sich nicht loslösen kann. Sie findet immer wieder Ausreden und Erklärungen für den Missbrauch. Traumabindungen machen die betroffene Person schwer abhängig.
Narzisstische Wut
Früher oder später wird der Narzisst dich so sehr auslaugen, dass du nichts mehr geben kannst und somit deine Funktion als narzisstische Versorgungsquelle verlierst. Du hast nichts mehr zu geben, also hat der Narzisst keinen Grund mehr zu bleiben. Sollte es aber passieren, dass du den Narzissten kränkst, indem du auf Verständnis pochst, widersprichst, deine eigene Meinung hast, auf seine Quälerei – Silent Treatment zum Beispiel – nicht mehr reagierst, oder noch schlimmer: Solltest du es jemals wagen, hinter die Maske des Narzissten zu schauen, wirst du eine neue Facette des Narzissten kennenlernen, nämlich die narzisstische Wut, die nur ein einziges Ziel hat: Dich zu vernichten.
Genauer gesagt: Der Narzisst wird alles versuchen, um dich in den Suizid zu treiben, denn er verzeiht nicht. Ein gekränkter Narzisst wird dich nie einfach so gehen lassen. Er wird die Trennung so qualvoll wie möglich machen und sie wie eine Tieropferung zelebrieren.

Credits: Pixabay
Es ist vorbei: Was jetzt?
Das, was von dir übrig bleibt, ist eine leere Hülle. Du wurdest nicht einfach verlassen, es ist kein Liebeskummer, vielmehr spricht man hier von einer posttraumatischen Belastungsstörung. Es kann sein, dass du tagelang weder schlafen noch essen kannst, dass du keine Ruhe findest, Gedankenrasen hast, dein Körper dauernd zittert und du denkst, du wirst verrückt.
Man könnte es fast mit einem Entzug vergleichen. Wichtig ist, sich professionelle Hilfe zu suchen. In der Anfangszeit werden Betroffenen manchmal Beruhigungsmittel verschrieben, um den Schock und den Schmerz etwas zu lindern, damit sich der Geist und der Körper erholen können. In den meisten Fällen ist auch eine Psychotherapie, welche hilft das Trauma zu verarbeiten, sehr zu empfehlen.
Wichtig ist es, zum Kern des Problems zu gelangen. Warum der Narzisst so ist, wie er ist, ist nicht von Bedeutung, denn eine schwierige Kindheit ist kein Freifahrtschein für Missbrauch und sadistisches Verhalten. Es geht vielmehr darum, die Frage zu lösen, warum du das perfekte Opfer warst? Die Antwort liegt wahrscheinlich bei deinem Selbstwertgefühl, also fange an deinem Selbstwert zu arbeiten.
Um noch eine wichtige Sache klarzustellen: Narzissmus ist eine Persönlichkeitsstörung und keine Krankheit. Narzissten sind fähig, Empathie zu empfinden, doch sie entscheiden sich bewusst dagegen, da sie keinen Sinn darin sehen, mit jemanden mitzufühlen. Es gibt Behandlungsmöglichkeiten bei Narzissmus, jedoch gestaltet sich die therapeutische Arbeit mit diesen Menschen aufgrund ihrer Charakterzüge sehr schwierig. Für Betroffene von narzisstischem Missbrauch ist wichtig zu wissen: Du bist kein Rehabilitationszentrum für kaputte Menschen.
Willst du mehr über derartige Erfahrungen lesen, findest du das in einem unserer weiteren Beiträge über toxische Beziehungen.
Informationen und Hilfe findest du hier und hier.
Weiters kann ich dir das Buch „Narzissmus verstehen – Narzisstischen Missbrauch erkennen“ von Sabine L. Koch sehr ans Herz legen.
Titelbild Credits: Pixabay
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