Verwendung von afroamerikanischem Englisch und Drag-Slang: Kulturelle Aneignung?

„Spill the tea“, „throwing shade“ oder „Fierce!“ – wer im Internet unterwegs ist, stolpert früher oder später über diese Ausdrücke. Doch woher kommen diese Begriffe? Und verletzt man mit der Verwendung von ihnen die Kultur einer Minderheit? Wo endet die natürliche Entwicklung der Sprache und wo beginnt kulturelle Aneignung?
Was ist kulturelle Aneignung?
Unter dem Begriff kulturelle Aneignung versteht man die Übernahme von Teilen der Kultur einer Minderheit durch Träger einer anderen Kultur. Aber wieso ist das problematisch?
Kulturelle Aneignung ist bedenklich, weil die privilegierte Mehrheitsgesellschaft durch Verwendung von Slang oder anderen Merkmalen der Kultur eine Minderheit in der Werbung und Popkultur daraus Profit schlägt und oftmals unbewusst die ursprüngliche Bedeutung der Kultur missachtet. Durch das unreflektierte Verwenden von Symbolen, Sitten oder Slang können die Gefühle dieser Minderheiten verletzt werden, da ihre Kultur dadurch entfremdet wird.
Drag-Slang und afroamerikanisches Englisch – Was ist das?
Drag-Slang bezeichnet, wie der Name schon sagt, die Umgangssprache der Drag-Szene. Durch Sendungen wie „Ru Paul’s Drag Race“ oder „Queen of Drags“ wurde der Drag-Slang einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Aber wo liegen die Wurzeln dieses Slangs?
© Unsplash | Ian Smith
Die Drag-Szene entstand in den 1920er und 1930er Jahren in den USA. Trotz restriktiver Gesetze gegen Homosexualität gruppierten sich Angehörige der LGBTQIA+-Community und organisierten geheime Veranstaltungen. Um auch in der Öffentlichkeit unbemerkt kommunizieren zu können, entwickelten sie eigene Begrifflichkeiten. Diese Entstehungsgeschichte gerät bei der jetzigen Verwendung dieser Ausdrücke in den Hintergrund. Die einstige „Geheimsprache“ ist nun angesagt und Menschen aller Gesellschaftsgruppe verwenden sie.
Afroamerikanisches Englisch, auch AAVE (African American Vernacular English) genannt, geht aus den schwarzen Communities in den USA hervor. Merkmale dieses Slangs sind unter anderem Änderungen in der Aussprache und Grammatik. Auch hier stellt sich die gleiche Frage wie bei Drag-Slang: Fühlen sich Mitglieder dieser Gemeinschaft durch die kommerzielle Verwendung verletzt?
Das zugrundeliegende Problem bleibt bestehen. Wenn PoC AAVE-Begriffe verwenden, werden sie mit Stereotypen der „Black-Community“ in Verbindung gebracht, dies ist oft negativ besetzt. Im Gegensatz dazu gilt die Verwendung von Slang bei „Weißen“ als cool oder „lit“.
In jüngster Zeit gelangen viele dieser Begriffe in den allgemeinen Sprachgebrauch. Doch was ist daran problematisch?
Die Diskriminierung der LGBTQIA+-Community ist immer noch aktuell
Das grundlegende Problem bei kultureller Aneignung besteht darin, dass sich die nicht diskriminierte Mehrheitsgesellschaft Teilen der Kultur bedient, ohne sich mit den negativen Konsequenzen auseinandersetzen zu müssen. „Everything but the burden“ (Alles, nur nicht das Negative).
So ist es auch bei der Verwendung von Drag-Slang. Die Ursprungsgeschichte und damit verbundene Diskriminierung dieser Gruppe findet dabei keine Beachtung. Tagtäglich sind Angehörige der LGBTQIA+ – und FLINTA*- Community immer noch mit Diskriminierung konfrontiert.
Wo liegt die Grenze zwischen der natürlichen Entwicklung der Sprache und kultureller Aneignung?
Grundsätzlich ist zu beachten, dass englische Begriffe immer mehr in den deutschen Sprachgebrauch integriert werden. Ausdrücke wie „Babysitter“ oder „Hobby“ findet man mittlerweile schon im Duden. Sie sind jedoch ursprüngliche, aus dem Englischen übernommene Termini.
Auch in der Vergangenheit wurden immer wieder Begriffe aus anderen Kulturen und Sprachen in die Alltagssprache übernommen. Man denke beispielsweise an alte Begriffe wie „Schlamassel“ oder „Tacheles reden“, die ursprünglich aus dem Jiddischen stammen. Solche Entwicklungen sind durchaus üblich.
Doch wo liegt nun die Grenze zu kultureller Aneignung? Eine klare Antwort auf diese Frage existiert nicht. Die Kritik bei kultureller Aneignung besteht darin, dass die zugrundeliegende Problematik der Diskriminierung und Unterdrückung bestehen bleibt. Es ist daher wesentlich, jede Kultur mit Respekt zu behandeln. Und sich mit der Herkunft und den ursprünglichen Bedeutungen von Slang-Begriffen, die oftmals verfremdet werden, auseinanderzusetzen.
© Unsplash | Juliette F
Heutzutage „outen“ sich beispielsweise viele als Fan einer Band oder einer Sportmannschaft. Dem Begriff „outen“ liegt das Offenlegen der sexuellen Orientierung und damit einhergehende Konflikte, mit denen Betroffene konfrontiert sind, zugrunde. Das „outen“ als Fan ist nicht vergleichbar mit dem „outen“ als Mitglied der LGBTQIA+-Community. Das populäre Verwenden des Begriffs im alltäglichen Sprachgebrauch verharmlost jedoch die damit einhergehende Diskriminierung.
Umgang mit Slang – Respekt und Aufklärung
Viele wollen andere Kulturen mit der Verwendung ihrer Zeichen ehren. Dieser respektvolle und reflektierte Umgang findet sich unter dem Begriff „cultural appreciation“. Man beschäftigt sich mit der Kultur und informiert sich über ihre Entstehungsgeschichte. Dadurch ist auch ein respektvoller Umgang sichergestellt. Doch eine Grenze zwischen kultureller Aneignung und „cultural appreciation“ ist schwer zu ziehen.
Dass Begriffe aus anderen Kulturen gar keine Integration in den allgemeinen Sprachgebrauch erfahren, ist schlichtweg unmöglich und kann auch negative Auswirkungen haben. Gelungene Integration lebt von Austausch und Vermischung der Kulturen. Durch Aufklärung, von gegenseitigem Respekt getragenen Dialog auf Augenhöhe und Interesse an den jeweils anderen Kulturen kann Kulturaustausch gelingen. Und das kann sehr wohl zu einer weltoffenen Gesellschaft, frei von Diskriminierung und Ausgrenzung, führen.
Titelbild © Unsplash | Jesús Boscán
DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN
In Österreich wird zu viel gemeckert - ein Interview mit der Lombardei lehrt uns mehr Demut
Am Beispiel der Lombardei und dem Interview mit Dr. Luigi Gelmi sehen wir, in Österreich wäre Demut mehr als angebracht. Wir sollten nicht so viele Gedanken daran verschwenden, dass wir womöglich einen Frühling, gar einen Sommer oder im schlimmsten Fall ein Jahr verloren haben. Denn durch die Vorsicht, die wir als Kollektiv momentan großteils an den Tag legen, verhindern wir, dass es für manche – genauer die Risikogruppe - nicht vielleicht gar ihr letztes Jahr war und es so endet, wie in anderen Teilen dieser Erde.
"Die militante Veganerin" erntet oft Kritik aus den falschen Gründen
Die militante Veganerin hat sich durch ihren radikalen Ansatz zum Tierschutz einen Namen in den sozialen Medien und auf YouTube […]
Weltkrebstag: ein Tag für Aufklärung, Hoffnung und Solidarität
Angefangen hat es mit Kleinigkeiten. Als Gertrude zum Einkaufen ging, vergaß sie, den Herd abzudrehen. Dabei war ihr Gedächtnis immer […]
Wie du deine Handysucht in den Griff bekommst
Ich wache auf und schaue auf mein Handy. Ich bin im Bus am Weg ins Office und checke meine Benachrichtigungen. […]
WARDA Club-Guide Episode 2: Pratersauna
Als Expert*innen der Wiener Eventkultur erkunden wir die Nachtclubs der Stadt. Nummer zwei auf unserer Liste: die Pratersauna, Urgestein elektronischer Musik.
Generation Beziehungsunfähig? Wenn die nur wüssten!
Die Generation Y ist vollkommen verkorkst und nicht beziehungsfähig, wird uns attestiert. Mit dem Finger zeigen sie auf uns und […]