Fußball-Fan fliegt 3.000 Kilometer Umweg, weil es „billiger ist, als der Zug“: ein moralisches Dilemma

Klimawandel, Erderwärmung, Treibhausgase und vieles mehr. Die Welt steuert auf eine Katastrophe zu. Das ist eine Tatsache. Doch anstatt etwas an diesem Kurs zu ändern, verharren viele Menschen in ihren automatisierten Verhaltensweisen und setzen lieber auf „hauptsache billig“, anstatt auf eine nachhaltige Lebensweise. Die Hoffnung, die Konsumentinnen und Konsumenten könnten den Lauf der Dinge aufhalten, ist ein Trugschluss – wie ein Fall aus England traurig veranschaulicht. Ist der Untergang noch aufzuhalten?
Fußball (nicht) um jeden Preis
James Jelly bereitet sich auf sein „perfektes Wochenende“ vor. „Sein“ Club (Sunderland) matcht sich im Play-off der League One gegen die Waycombe Wanderers. Der Gewinner dieser Begegnung spielt nächstes Jahr in der EFL Championship – das ist die zweite Englische Fußballiga. Als treuer Fan will James sich dieses Entscheidungsspiel natürlich nicht entgehen lassen. Koste es, was es wolle! Oder etwa doch nicht?
Fußball-Fan fliegt 3.000 Kilometer Umweg mit Billigflug zum Spiel
Geld ist natürlich alles! Und Geiz immer noch geil. Der Fan James will sich das Spiel also um keinen Preis entgehen lassen. Um keinen Preis. Aber dennoch will James so billig wie möglich dorthin kommen. Und der Sunderland-Fan hat in der Tat einen günstigen Weg gefunden, nach London zu reisen, um sein Team anzufeuern. Von den „lächerlichen Preisen“ für den Zug geschockt (um die 305 Euro für eine 450 Kilometer lange Bahnstrecke!) hat er eine, seiner Meinung nach, nicht ganz so lächerliche Lösung gefunden. Statt mit dem Zug fliegt James lieber einen billigeren, 3.000 Kilometer langen Umweg.
Wie genau sieht seine Route nun aus. Er fliegt um 15 Euro ins 1.500 Kilometer entfernte Menorca (Spanien). Übernachtet dort für 33 Euro in einem Hostel am Flughafen und fliegt am nächsten Tag für 12 Euro nach London Stansted. Von dort nimmt ihn dann ein anderer Fußballfan mit dem Auto mit zum Spiel. Zurück nach Hause geht es nach dem Finale auch mit einer Mitfahrgelegenheit.
By the way: Auch den möglichen Direktflug nach London aus dem nahe gelegenen Newcastle hat James nicht genommen (umgerechnet 190 Euro).
Die Geschichte des James Jelly – ein Paradebeispiel für den Zeitgeist
Man kann von dieser Geschichte nun halten, was man will. Und hoffentlich nichts Gutes. Doch wäre es natürlich viel zu einfach, James Jelly als Buhmann hinzustellen. Klar könnte er sich ein wenig um die Umwelt scheren und den Zug nehmen. Doch er tut es nicht. Er fliegt lieber billig. Denn er will ja um jeden Preis das Spiel sehen. So günstig wie möglich. Den Aufpreis zahlt eben einfach der Planet. As simple as that! Doch genug davon.
Der Fußball-Fan James beweist eigentlich nur einmal mehr, dass die Geschichte vom mündigen Konsumenten nicht funktioniert. Wir haben schon einige Beiträge zu diesem Thema verfasst und es ist immer wieder dasselbe. Doch der Konsument ist einfach das schwächste Glied in der Kette zur Rettung der Welt. Und Letztere wird von eben diesem Konsumenten nicht zu retten sein. Ganz im Gegenteil! Der Konsument ist sogar der Sargnagel für unsere Welt – ist er immer schon gewesen!
Wer ist verantwortlich?
Wir leben in einer Welt, die radikal wirtschaftlich denkt. Die großen Konzerne genauso wie der kleine Fußball-Fan James. Und dass das Geld gerade jetzt knapp ist, wird überall deutlich gemacht (Ukraine-Krieg, Inflation etc.). Alles wird teurer, wobei man viel weniger verdient. Und überall wird einem reingedrückt, dass man den Gürtel enger schnallen muss.
Die Konsument:innen selbst haben ideologisch also gar keine Möglichkeit mehr, anders zu denken und werden von Ängsten verleitet: so billig wie möglich alles zu bekommen. Das ist ganz einfach die wirtschaftliche Logik aus Kosten- und Nutzen-Rechnung, nach der wir alle leben.
Buhmann Unternehmen?
Diese Logik ist so allgegenwärtig und tiefsitzend, dass den Unternehmen die Verantwortung aufzubürden auch nicht der richtige Weg ist. Warum? Weil man in einer Welt, in der es das Richtige gibt, nicht von dem einen (Unternehmen) fordern darf, dass er das Richtige tut und mit dem anderen (James, Mensch, Konsument) dafür nachsichtig ist. Das ist ein Fehler. Die Unternehmen sind genauso verantwortlich wie James. Denn ein Unternehmen besteht im Grunde auch nur aus lauter kleinen James.
Warum sollten Unternehmen nicht für das Verhalten ihrer Konsumenten und Konsumentinnen verantwortlich gemacht werden? Ganz einfach deshalb nicht, weil wir immer noch davon ausgehen (müssen), dass die Menschen mündig sind. Und daher auch frei entscheiden dürfen. Das bedeutet leider nicht, dass sie auch immer das Richtige tun. Sie tun es eigentlich eher selten.
Klar verführen uns die Unternehmen mit ihren billigen Angeboten. (Fast genauso gekonnt, wie Narzissten Gaslighting betreiben). Selbstverständlich ist das moralisch verwerflich! Doch ist es moralisch genauso verwerflich, diese Angebote auch anzunehmen.
© Unsplash | Frederic Köberl
Politik in der Pflicht!
Der Konsument ist im Schnitt nicht weitsichtig und konsumiert möglichst billig – da brauchen wir uns nichts mehr vorzumachen! Doch warum sollten die Unternehmen jetzt besser sein, als die Konsumenten? Denn ein Unternehmen ist nichts weiter, als ein Haufen kleiner Jamese. Brauchen wir Jamese nun wirklich eine moralische Überinstanz, weil wir uns nicht zusammenreißen können? Es sieht fast so aus. Doch wer soll diese Instanz sein?
Am Ende kann nur die Politik (also lauter andere kleines Jamese) in Form einer Gesetzesänderung (oder was auch immer) eine Änderung bewirken. Denn diese veränderten Rahmenbedingungen würden den Unternehmen eben bestimmte (moralisch fragwürdige) Handlungen verbieten und somit auch die Menschen (die vielen Jamese) davor bewahren, leichte Beute für unmoralische Angebote werden zu können. Dass die Umsetzung nicht so einfach ist, ist klar. Dass es aber leider keinen anderen Weg gibt, die Welt zu retten, dürfte mittlerweile aber genauso klar sein.
Titelbild © Unsplash | MOHD AZRIN
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