Rassismus an der ukrainischen Grenze? Seit dem ersten Kriegswochenende mehrten sich Berichte über nicht-weiße Ukrainer:innen sowie Studenten:innen aus afrikanischen Ländern, die bei der Flucht aus der Ukraine an der Ausreise behindert wurden. Während weiße Ukrainer:innen mit offenen Armen und viel Solidarität empfangen wurden, hatten „Ausländer“ und dunkelhäutige Ukrainer:innen leider nicht so viel Glück. Zudem wurde von Problemen und Diskriminierung bei der Einreise in den Nachbarländern Polen und Ungarn berichtet.
Begonnen hatte alles wie so oft mit einzelnen Videos im Internet. Darauf zu sehen: Gruppen von dunkelhäutigen Menschen, die von Grenzbeamt:innen daran gehindert werden weiter zu reisen. Anfangs wurde noch beschwichtigt. Polnische Grenzschützer:innen dementierten außerdem den angeblichen Rassismus. Dies ging allerdings sehr weit auseinander von den Erzählungen Betroffener, die davon berichteten, tagelang in der Kälte und ohne Versorgung ausharren zu müssen, bevor sie weiter konnten. Ebenso, dass sie in der Ukraine an der Weiterreise Richtung Grenze gehindert worden waren.
In Anbetracht der Tatsache, dass es in der Vergangenheit an der polnischen und ungarischen Grenzen bereits zu zahlreichen Missbrauchsfällen und illegalen Pushbacks gegenüber Flüchtlingen kam, ist das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Aussagen der Grenzschützer:innen grundsätzlich stark erschüttert.
Institutioneller Rassismus an der Grenze?
Das Bild des institutionellen Rassismus an den Grenzen ließ sich nicht mehr klein reden. Mittlerweile berichten ebenso zahlreiche Medien – darunter der ORF, Euronews, Tagesschau und die BBC – über das Problem mit Fällen von Rassismus an den Grenzen.
Sowohl bei der Ausreise als auch Einreise nach Polen und Ungarn bei nicht-weißen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Ebenso hatten Flüchtlingshilfsorganisationen hierzulande – wie zum Beispiel die SOS-Balkanroute – bereits auf die Situation aufmerksam gemacht.
Den Grenzschüterz:innen scheint dabei nicht bewusst zu sein, dass man so direkt Putins Kriegspropaganda von der Nazi-Ukraine bedient und bestärkt. Denn jeder dokumentierte Fall nährt den Vorwurf rassistischer Behörden und Praktiken. Und suggerierten zudem einen notwendigen Handlungsbedarf.
'They said if you're black, you should walk'
Nigerian student Jessica has kept in touch with us about her journey out of Ukraine. She is among the hundreds of thousands of people fleeing the country, and one of many #AfricansinUkraine who have described facing racism at borders. pic.twitter.com/OTTx6wxVDY
— BBC News Africa (@BBCAfrica) March 1, 2022
Gleiche Rechte für alle Flüchtlinge?
Es ist unerträglich, dass dabei selbst unter Kriegsflüchtlingen anscheinend nach reaktionären Rassenmerkmalen unterschieden wird. Also einfach nach Äußerlichkeiten. Neben dem unerträglichen Leid des Krieges enthumanisiert man so Betroffene und setzt dieser in einer bereits unerträglichen Lage weiteren Qualen aus. Ganz zu schweigen von der Lebensgefahr und der Traumatisierung, die sie bereits durchlaufen müssen.
Doch warum das alles? Welchen Sinn kann es haben, Kriegsflüchtlinge an der Flucht zu hindern? Oder ausländische Studierende bei ihrer Heimflucht zu behindern?
Studierende aus Nigeria hatten in einem Artikel der BBC geschildert, dass Beamte an der polnischen Grenze ihnen zugerufen hätten, dass sie sich um Afrikaner nicht kümmern. Zudem äußerten sie, von der Polizei geschlagen worden zu sein. Die Causa ging so weit, dass der nigerianische Präsident Muhammadu Buhari daraufhin die betroffene Nationen darauf aufmerksam machte, dass Hautfarbe oder Pass keinen Unterschied machen dürfen bei der Behandlung von Menschen auf der Flucht.
Die Erzählungen der nigerianischen Studierenden deckten sich dabei ebenso mit Berichten indischer Studierender. Diese hinderte man in der Ukraine daran, an Bord eines Zuges zu kommen. Dabei seien sie mit den Worten „Ukrainer zuerst!“ zurückgedrängt worden.
The official visuals of Ukrainians blocking Africans from getting on trains. #AfricansinUkraine pic.twitter.com/hJYpM3LY0A
— Damilare / ViF (@Damilare_arah) February 26, 2022
Natürlich sind die Aussagen im Nachhinein schwer zu verifizieren. Jedoch wäre eine schlechte Behandlung von dunkelhäutigen Menschen zum Beispiel an der polnischen Grenze kein Novum, sondern eher gängiger Usus.
Die Vereinten Nationen, europäische Politiker:innen und Flüchtlingshilfsorganisationen appellieren mittlerweile an die Nachbarländer und an die Ukraine, alle Flüchtenden gleich zu behandeln. Das zeigt, dass die Berichte international Anklang finden und zu seriöser Behandlung derselben führen.
Afrikanische Regierungen um faire Behandlung ihrer Bürger:innen bemüht
Die afrikanische Union (AU) zeigte sich nach den Meldungen besorgt. Man sprach von einem Verstoß gegen das Völkerrecht. Der Vorsitzende der Union Macky Sall sowie sein Amtskollege – der Leiter der Kommission der afrikanischen Union Moussa Faki Mahamat – erklärten in einer Aussendung sie seien
„…besonders beunruhigt über Berichte, wonach afrikanischen Bürgerinnen und Bürgern auf der ukrainischen Seite der Grenze das Recht verweigert wird, die Grenze zu überqueren und sich in Sicherheit zu bringen.“ (…) „Berichte, wonach Afrikaner in inakzeptabler Weise unterschiedlich behandelt werden, sind schockierend rassistisch und verstoßen gegen das Völkerrecht.“
Weiter hieß es, alle Länder sollten „das Völkerrecht respektieren und allen Menschen, die vor einem Krieg fliehen, ungeachtet ihrer Identität das gleiche Mitgefühl und die gleiche Unterstützung entgegenbringen.“
Statement of the African Union on the reported ill treatment of Africans trying to leave #Ukraine https://t.co/wRULm2OfkL : #AfricansinUkraine pic.twitter.com/zZ8WpoCsP3
— African Union (@_AfricanUnion) February 28, 2022
Der Präsidentenberater Nigerias Garba Shehu hatte zuvor die ukrainischen Grenzbeamten gebeten, Menschen aus Nigeria fair zu behandeln. Nachdem ihn Berichte erreichten, die aufzeigen, wie Beamte nigerianische Staatsbürger am Einsteigen in Busse und Zügen, um Richtung Grenze zu flüchten, hinderten.
Rassismus als Wasser auf Putins Propagandamühlen
Die rassistischen Vorurteile scheinen dabei so tief verwurzelt zu sein. So sehr, dass man sie nicht mal im Sinne des eigenen Pragmatismus zurückhält. Denn all das könnte wiederum Putins Seite dazu verwenden, um den angeblichen hohen humanitären Anspruch in Europa ad absurdum zu führen. Denn reale Diskriminierung an den Grenzen eignet sich fabelhaft, um daraus noch größere Narrative zu spinnen.
In Wirklichkeit ist der Umgang mit Flüchtlingen innerhalb Europas schon seit Jahren beschämend. Missbrauch und illegale Pushbacks an den Grenzen sowie eine immer rassistischere Gesetzgebung zerstören hier viele Existenzen. Und oftmals sind es die Existenzen derer, denen bereits alles genommen wurde, inklusive ihrer Heimat. Denn Krieg, egal wo er stattfinden möge, ob näher oder ferner, produziert unendliches Leid, Verzweiflung und eben Menschen, die um ihr Leben flüchten.
Hierbei nach äußeren Merkmalen zu unterscheiden, ist perfide und extrem entlarvend. Wenn man so will, ein antihumanistischer Bumerang, der nach einer langen Flugkurve einen selbst trifft. In dem Sinne kann man nur hoffen, dass sich die beteiligten Staaten in diesen herausfordernden Zeiten die Menschenrechte nochmals vor Augen führen. Denn alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.
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