Das Wort „Tantra“ beflügelt die sexuelle Fantasie des Menschen, wie selten ein Begriff. Entgegen der leider weit verbreiteten Meinung, handelt es sich dabei jedoch nicht um eine Art Sex Positive Party und auch nicht um eine Form von Swingerclub. Aber was ist Tantra dann? Vermutlich nicht das, was du bis jetzt darunter verstanden hast! Wir stellen dir 7 falsche Annahmen vor, über die du Bescheid wissen solltest.
1. Indische Philosophie mit unterschiedlichen Strömungen – ein kleines Intro
Im Grunde geht es beim Tantra um die komplexe Entfaltung des Menschen. In weltlicher, aber auch in spiritueller Hinsicht. Doch gibt es nicht nur das eine Tantra. Sondern unterschiedliche Strömungen. Und nicht eine jede Strömung des Tantra hat mit Sex und Sexualität zu tun.
Weiters gibt es hinduistische und buddhistische Schulen, unterschiedlich ausgeprägt, versteht sich. Auch innerhalb der indischen Philosophie selbst gibt es verschiedene Strömungen. Die Ursprünge des Tantra gehen bis ins 2. Jahrhundert zurück. Lehren gibt es erst ab dem 7. bzw. 8. Jahrhundert.
Von Tantra zu Neo-Tantra: Fokus auf sexuelle Aspekte
Somit ist Tantra eine extrem alte Tradition, die, wie viele andere Religionen, Philosophien, Denkströmungen und so weiter Veränderungen ausgesetzt war. Zeitgeschichtlich hat sich also einiges verändert über die Jahrhunderte.
Das Tantra, das wir heute im Westen kennen, bezeichnet man daher als Neo-Tantra. Damit gemeint ist eine, erst seit Ende der 1970er Jahre in Europa und den USA verbreitet Form der Lehre und Lebenspraxis. Hierbei werden bzw. wurden bewusst sexuelle Aspekte in den Vordergrund gestellt. Um natürlich auch einen westlichen Markt zu bedienen. Man kann sich daher denken, dass es bis zu dieser neuartigen Ausprägung unzählige Variationen des Tantra gegeben hat und immer noch gibt.
Die zusammengebastelte Lehre eines Sex-Gurus?
Das Neo-Tantra wurde vor allem vom indischen Philosophen Bhagwan Shree Rajneesh – bekannt auch unter dem Namen „Osho“ – propagiert. Dieser lehrte Tantra in Form einer Verbindung von Spiritualität und Sexualität. Mittels Meditation soll dabei sexuelle Energie geweckt werden und zu einem kosmischen Bewusstsein führen. Dieser Ansatz machte ihn vor allem in der westlichen Welt als eine Art Sex-Guru bekannt.
Osho gilt jedoch als umstritten. Er selbst hatte nie einen offiziellen Lehrmeister und hat sich seine Philosophie selbst aus unterschiedlichsten Texten zusammengebastelt, lautet nur einer der Vorwürfe. Neo-Tantra wird auch als Angebot an die westlichen Menschen begriffen, bei dem die Kommodifizierung und Kommerzialisierung sehr weit getrieben wurde.
2. Ein Tantra-Seminar ist kein Swingerclub
Doch auch wenn im westlichen Neo-Tantra ein offener Umgang in Bezug auf Nacktheit, Erotik und Sexualität vorherrscht, geht es in den jeweiligen Seminaren nicht darum, Sex zu haben. Menschen, bei denen eine rein sexuelle Motivation vorherrscht, sind hier fehl am Platz. Es geht vielmehr um Spiritualität, Sinnlichkeit, Geborgenheit und darum, sich selbst zu fühlen in seinem Sein.
In westlichen Tantra-Seminaren geht es vorrangig um Meditation, Bewusstwerdung, innere Verbindung sowohl sexueller als auch spiritueller Energie, Atemübungen, Entwicklung von Mitgefühl und spirituelle Vereinigung. Die „sexuelle Vereinigung“ wird, wenn überhaupt, nur in einem sehr geschützten Rahmen in Fortgeschrittenengruppen angeleitet und findet zwischen Menschen statt, die schon vor dem Besuch des Seminares Pärchen gewesen sind.
Befürworter:innen sagen, dass Tantra den Seminarteilnehmenden Anregungen für ein intensiveres Erleben von Meditation, Bewusstheit und Sexualität liefern kann. Außerdem trage diese Form der Seminare positiv zur Persönlichkeitsentwicklung, Zufriedenheit und Ausgeglichenheit bei.
3. Tantra ist nicht gleich Sex, ist aber zutiefst sinnlich
Obwohl Tantra eine äußerst intime Sache ist – körperlich und vor allem sinnlich – und bei einer Massage auch der Intimbereich miteinbezogen wird, geht es nicht um Sex per se. Im Gegensatz zur „klassischen“ sexuellen Handlung geht es beim Tantra somit nicht darum, einen Orgasmus zu bekommen. Es geht nicht einfach um die plumpe Lustbefriedigung.
Es geht darum, die Wachheit und Achtsamkeit für seinen Körper, für sein eigenes Sein zu schärfen. Klar werden beim Neo-Tantra auch sexuelle Situationen genutzt, um zur Achtsamkeit zu gelangen. Doch nur, weil Körperlichkeit (körperliche Verbindung – nicht zwingend Sex) eine besondere Form der Wachheit ermöglicht. Der Miteinbezug von Sexualität ist im Tantra erst vor ca. 1500 Jahren entstanden.
4. Eine Tantra-Massage ist keine Happy End Massage!
Wie schon gesagt, wird bei der Tantra-Massage der Intimbereich miteinbezogen. Aber das geschieht natürlich nur, wenn es der jeweiligen Person auch recht ist. Vor jeder Massage gibt es ein längeres Aufklärungsgespräch! Der finale Orgasmus ist jedoch nicht das Ziel einer solchen Massage. Eine Tantra-Massage ist daher keine Happy End-Massage.
Es geht bei dieser, zugegeben äußerst intimen Form von Massage mehr um die Sinnlichkeit und das bewusste Wahrnehmen des Körpers. Viele Menschen haben mittlerweile den Bezug zu ihrem eigenen Körper leider verloren, stellen sich diesem gegenüber und streben an, sich als eins mit diesem zu begreifen. Dies führt natürlich zu einem gestörten Körpergefühl (in moderner Form: Body Dysmorphic Disorder). Was auch zu einem gestörten Lustgefühl führen kann.
Um dieses gestörte Selbstempfinden zu überwinden ist eine Tantra-Massage an und für sich eine zutiefst hilfreiche Option, um wieder in den Kontakt mit sich selbst (seinem Körper) zu kommen. Bei dieser Form von Massage gibt es ein Vorgespräch und Schlussgespräch, und die Massage selbst ist ein, auf Wertschätzung und Respekt aufbauender Prozess, bei dem man auch eine spirituelle Verbindung mit dem oder der einen Massierenden eingeht. Die Überwindung des Schambereichs und des Schamempfindens gilt als oberstes Prinzip.
5. Es geht nicht nur um deine Genitalien – sondern um alles!
Auch wenn es unzählige tantrische Strömungen gibt, so eint sie alle die Einsicht, dass das ganze Universum in uns selbst zu finden ist. Innere und äußere Wirklichkeiten korrespondieren miteinander, entsprechen einander. Verborgene Dimension der makrokosmischen Realität widerspiegeln den Mikrokosmos des Menschen und umgekehrt.
Innen und Außen fließen ineinander und eine bewusste Erfahrung des eigenen Seins und der Situation sind essenziell für eine gelungene tantrische Erfahrung. Tantra ist somit eine sehr spirituelle, ganzheitliche Angelegenheit, die unter keinen Umständen auf den Genitalbereich reduziert werden sollte.
6. Beim Tantra geht es nicht nur um dich
In einer vom Narzissmus geprägten Welt, in der sich jeder und jede dazu motiviert fühlt, ein Egomane zu werden, der sich ausschließlich um sich selbst kümmert, geht es beim Tantra um die Überschreitung der eigenen Grenzen. Das Wort selbst besteht aus zwei Verben: „tan“ bedeutet verlängern, strecken, weiten und „tra“ ausdehnen, schützen, sich jenseits aller Limitationen zu bewegen.
Tantra kann somit auch als eine Art Pfad interpretiert werden, der uns dabei helfen kann, uns von unseren alten Gewohnheiten des Ego-Zentrismus zu befreien, um zum Wohle des großen Ganzen beizutragen. Tantra schafft in diesem Sinne eine Verbindung zu dem Teil unseres Selbst, der sich jenseits der gewohnten Dualität befindet.
7. Kein Lehrwerk über Erotik
Das heutzutage hauptsächlich angebotene und sexuell ausgeprägte Neo-Tantra geht u. a. auf Aleister Crowley zurück. Er war einer der ersten, der im 19. Jahrhundert mit seinem Buch „Sex Magic“ zur Schieflage von Tantra beigetragen hat, indem er sexuelle Praktiken mit Sanskrit-Begriffen überfrachtete.
Wie wir schon öfter angemerkt haben, sollte Tantra nicht mit einer sexuellen Praktik gleichgesetzt werden. Auch wenn es beim Tantra auch um Sexualität geht, so fungiert dieses im Grunde als eine Art heilige Dimension, die dabei hilft, das Bewusstsein auszudehnen und das Selbst und die Welt zu erfahren.
Tantra nutzt in diesem Sinne die sexuelle Situation (nicht um des Sex willen, sondern) um zur Achtsamkeit zu gelangen. Körperliche Verbindung ermöglicht in diesem Sinne eine Wachheit auf eine besondere Art. Sexualität wird in dieser Form als Kanal genutzt, um in einen Zustand der Wachsamkeit und Achtsamkeit zu gelangen. So soll auch das Verhältnis zum eigenen Selbst gestärkt werden. Dies soll zu einem achtsamen Umgang mit sich selbst und dem anderen führen.
Tantrischer Sex als Alternative zu westlichen Sexpraktiken
Tantrischer Sex kann durchaus als Alternative zu den gängigen Sexpraktiken angesehen werden. Denn für die meisten Menschen geschieht Sex leider ohne viel Liebe, Wertschätzung und Respekt. Der Performance-Gedanke macht ein wirkliches sich Einlassen auf den anderen leider praktisch unmöglich. Und auch die Scham, die viele für ihren eigenen Körper empfinden, ist dabei mehr als hinderlich. Wenn man sich jedoch achtsam, respektvoll und wertfrei in die Zweisamkeit einzubringen vermag, erzeugt man Präsenz und das Gewahr werden des anderen.
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